Was ist alltagsintegrierte Sprachförderung in der Heilpädagogik? Wie sieht Sprachförderung überhaupt in der Heilpädagogik aus? Was unterscheidet mich von einer Logopädin oder Sprachtherapeutin, wenn ich mit Kindern im Vorschulalter arbeite?
Alltagsintegrierte Sprachförderung basiert auf dem Grundgedanken, dass die Fachkräfte Situationen im Alltag aufgreifen bzw. gestalten, um allen Kindern ein optimales Sprachangebot zu bieten. Sprachförderung soll vom ersten Tag in der Kita bis zum letzten Tag in der Grundschule stattfinden. Das Angebot gilt gleichermaßen allen Kindern, egal ob mit Migrationshintergrund, sprachlichen Auffälligkeiten oder guten Sprachkompetenzen. Die Fachkräfte sollen dazu bestimmte Sprachfördertechniken nutzen, die individuell den Leistungsstand des Kindes aufgreifen und diesen erweitern.
Ich habe den Begriff „Alltagsintegrierte Sprachförderung“ 2017 kennengelernt, als mir eine Freundin davon berichtete. Sie war als Kita-Fachberatung bei der Stadt Fellbach (Baden-Württemberg) angestellt. Das Weiterqualifizierungskonzept der alltagsintegrierten Sprachförderung wurde explizit für die Fellbacher Kitas entwickelt, dort erprobt und 2010/11 evaluiert.
Ziel des Projekts war es, ein durchgängiges Sprachförderkonzept für den Elementar- und Primarbereich zu entwickeln und durchzuführen. Damit sollten pädagogische Fachkräfte aus Kita und Schule weiterqualifiziert und professionalisiert werden. Das sogenannte „Fellbach-Konzept“ wurde federführend von Diemut Kucharz und Katja Mackowiak wissenschaftlich begleitet.
Was ist Heilpädagogik?
Heilpädagogik ist eine pädagogische Disziplin und wird in Deutschland oft mit der Sonderpädagogik gleichgesetzt. Der Begriff kommt aus dem 19. Jahrhundert und meinte damals – der Zeit weit voraus – eine gemeinsame Erziehung von Kindern oder Erwachsenen mit und ohne Behinderung und betonte den pädagogischen Zugang. Bis heute hält sich der Begriff zur Bezeichnung einer Pädagogik bei erschwerten Entwicklungsprozessen.
Heilpädagogik betrachtet stets den ganzen Menschen, nicht allein die Behinderung, sondern alle Fähigkeiten, Probleme, Ressourcen sowie das soziale Umfeld eines Menschen und bezieht diese mit ein. Mehr über mein heilpädagogisches Handeln und meine Arbeitsfelder findest du hier.
Sprachbildung ist in jeder Kita und in jeder Grundschule natürlich grundlegend im Bildungsplan verankert. Allen pädagogischen Fachkräften ist das wichtig. So gibt es vom Bilderbuch, über das Lied, Fingerspiel oder gezielter Wortschatzerweiterung zu einem Thema wie „Unsere Erde“ unterschiedlichste geplante und spontane Angebote.
Das sogenannte Sprachbad ist das, was an Alltagssprache immer läuft, die Umgangssprache, in die Kinder einfach eintauchen. Viele Kinder erwerben dadurch die Umgebungssprache, auch Kinder mit Deutsch als Zweitsprache oder wenig entwickeltem Sprachstand.
Alltagsintegrierte Sprachförderung geht nun etwas weiter: Sie orientiert sich einerseits am individuellen Sprachstand eines Kindes und nutzt andererseits gezielte Sprachfördertechniken. Sie findet in den Alltagssituationen wie Anziehen, Begrüßung, beim Regelspiel, beim Malen oder Bauen, beim Aufräumen oder auf dem Spielplatz statt.
Für Kinder mit einer Entwicklungsverzögerung oder -störung reicht das in der Regel nicht aus. Je nach Diagnose und gewährter Maßnahme kann eine Integrationsfachkraft in der Kita zusätzlich begleiten (in Bayern Einzelintegration), Frühförderung in einer Praxis stattfinden oder bei spezifischen Sprachstörungen eine zusätzliche logopädische Behandlung oder Sprachtherapie nötig sein.
Kinder mit geringen Deutsch-Kenntnissen nehmen zusätzlich in der Kita am Vorkurs Deutsch (Bayern) teil.
Sprachvorbild
Du bist immer Vorbild.
Es geht also erstmal um dich. Kucharz u.a. schreiben in ihrem Buch Alltagsintegrierte Sprachförderung: Pädagogische Fachkräfte sollten eine reichhaltige und möglichst korrekte Sprache nutzen. Gerade Kinder mit Sprachförderbedarf oder mehrsprachige Kinder brauchen eine gute Orientierung im Hinblick auf vollständige Sätze, ausformulierte Wortendungen und präzise Begriffe.
Bärbel Koch weist in ihrem Buch „Korrigier mich nicht!“ auf typische Formulierungen hin: „Gib mir das mal!“
Ist das präzise? Oder lieber: „Gib mir bitte den Spitzer!“
Tipp: Achte auch bei Verben darauf, nicht nur „machen“ oder „tun“ zu gebrauchen, anstatt „gehen“ auch „schleichen, trippeln, trampeln, rennen, schlurfen usw.“ zu nutzen. Anstatt „schön“ oder „toll“ findest du sicher zahlreiche Varianten um etwas wertzuschätzen. Bilde deinen eigenen Wortschatz weiter!
In meiner Anleitung Wie du zu einem guten Sprachvorbild wirst findest du dazu noch jede Menge Tipps.
Sprachförderliche Situationen kannst du jederzeit im Alltag entdecken (begrüßen, anziehen, …), andere gezielt einplanen (dialogisches Vorlesen, Gespräch über ein Thema …). Nutze unterschiedliche Sozialformen (Gespräch zu zweit, in der Kleingruppe, alle zusammen). Die Voraussetzungen dafür, ins Gespräch zu kommen sind:
- eine gute Beziehung zum Kind zu haben
- Interesse zu zeigen
- sich Zeit zu nehmen bzw. die Zeit zum Antworten zu schenken
- sich mit Tempo und Sprachniveau dem Kind anzupassen
Was sind Sprachfördertechniken?
Sprachfördertechniken kommen einerseits aus der Sprachtherapie, werden jedoch auch häufig von Eltern intuitiv angewandt. Es geht darum, die kindlichen Äußerungen aufzugreifen, zu erweitern und damit das Kind in die „Zone der nächsten Entwicklung“ zu führen.
Korrektives Feedback
verbessert indirekt sprachliche Fehler des Kindes, indem eine korrekte Wiederholung auf unterschiedlichen Ebenen (Aussprache, Wortbildung, Satzbau, Wortbedeutung) erfolgt.
Tipp: Achte bitte darauf, nicht einfach nur nachzusprechen, sondern wie mit anderen Menschen auch in einen Dialog zu gehen.
Beispiel:
Kind: „Bagge sen.“
E(rwachsene:r): „Aha, du hast einen Bagger gesehen.“ 👎
E: „Wo hast du den Bagger gesehen?“ 👍
Modellierung
erweitert oder verändert die kindliche Äußerung, indem Wörter wie „Ding“ präzisiert werden, unvollständige Sätze vervollständigt oder grammatikalische Formen verändert werden.
Beispiel:
Kind: „Elefant.“
E: „Da kommt der Elefant.“
Kind: „Ich hab Elefant und Elefant.“ (beim Memory)
E: „Ja, du hast zwei Elefanten.“
Stimulierung
regt auf vielfältige Weise zum Sprechen an. Dabei gibt die Erwachsene den Input, indem sie zum Beispiel handlungsbegleitend kommentiert, Gefühle benennt oder offene Fragen stellt.
Beispiel:
E: „Auf deinem T-Shirt ist heute ein Traktor. Hat dein Opa auch einen Traktor?“
E: „Oh, du siehst ganz traurig aus. Magst du mir erzählen …?“
Heilpädagogische Sprachförderung bezieht sich auf die Freude am Sprechen, an der Kommunikation, auf Interaktion an sich – egal ob sprachlich oder mit Gebärden oder Talker (ein spezielles Tablet zur unterstützten Kommunikation). Heilpädagog:innen geht es um Wortschatz und Sprachverständnis, auditive und mundmotorische Wahrnehmung.
Ich arbeite häufig mit rhythmischen Sprüchen und verbinde Sprache mit Musik und/oder Bewegung. Die Verknüpfung verschiedener Sinneskanäle und Ausdrucksformen dient der Verknüpfung von Sinn und Wort, der besseren Speicherung und der Fähigkeit, das Gelernte auch wieder abrufen zu können. Und zu guter Letzt ist es dann auch spielerisch und macht Freude.
2017 habe ich selbst in Fellbach an einer Fortbildung zum Thema teilgenommen und dies seither in meine Arbeit verankert.
Als Heilpädagogin mit Kenntnissen um die alltagsintegrierte Sprachförderung nutze ich die gezielten Sprachfördertechniken auch in den Alltagssituationen oder wenn es vordergründig um anderes geht. Im Rahmen der Einzelintegration in der Kita ist das z. B. beim Spielen in der Kleingruppe, beim Spaziergang oder beim Essen. In der Frühförderung in meiner Praxis ist es z. B. beim Hände waschen, beim Regelspiel oder Malen.
Ich arbeite jedoch nicht gezielt an Stimm- und Schluckstörungen, einzelnen Lauten, mache keine Übungen zur Aussprache und kann auch keinen Dysgrammatismus therapieren.
Willst du mehr über alltagsintegrierte Sprachförderung für dein Kind oder deine Kita wissen?
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