Die eigene Kommunikation hängt stark vom aktuellen Zustand des Nervensystems ab. Meist sind wir uns dessen nicht bewusst. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wir alle wissen, dass wir unausgeschlafen viel weniger geduldig sind und viel schneller gereizt und schnippisch reagieren. Warum ist das so und was geht da alles ab in unserem Hinterstübchen? Ich nenne dir fünf Gründe, warum Stress deine Kommunikation ruiniert.
Im „Fight or Flight“-Modus bist du impulsiv
Wut, Angst oder Enttäuschung beeinflussen deine Wortwahl und deine Tonlage. Wie oft hast du schon Dinge gesagt, die du hinterher bereut hast? Oder du hast hinterher bemerkt, dass du dich im Ton vergriffen hast.
Die Ursache ist, dass das Nervensystem die Situation als bedrohlich eingestuft hat. Dann übernimmt das autonome Nervensystem und schaltet das denkende Hirn (präfrontaler Kortex) ganz oder teilweise ab. Die emotionale Überflutung veranlasst die impulsive, unüberlegte Kommunikation.
Lösung: Sobald du bemerkst, dass du aus der Fassung bist, kannst du das im Gespräch benennen und um eine Pause oder Bedenkzeit bitten. Nutze die Zeit dafür, dein Nervensystem zu regulieren.
Du hörst nicht richtig zu
Unter Stress aktiviert das Nervensystem den Sympathikus-Nerv. Dadurch kannst du – je nach Situation – in den Kampf-, Flucht- oder Erstarrungsmodus geraten. Der ventrale Vagusnerv – unser soziales Kontaktsystem – ist hingegen inaktiv. Dadurch ist unter anderem unser Hören beeinträchtigt.
Es kann also sein, dass du gar nicht richtig wahrnimmst, was dein Gegenüber gerade sagt. Es entstehen Missverständnisse. Deine Aufmerksamkeit ist blockiert, ebenso das Verständnis des Gesagten sowie die Merkfähigkeit.
Lösung: Pause, atmen, Nervensystem regulieren und insbesondere das Hören aktivieren. Knete dazu sanft deine Ohren.
Du bist gereizt und kannst nicht auf andere eingehen
Ist dein Nervensystem überreizt, z.B. durch zu viele Reize, zu wenig Schlaf oder zu viele Aufgaben, gerätst du in Stress. Wieder wird der Sympathikus-Nerv aktiviert und es fällt dir schwer, klar zu denken und mit anderen zu kooperieren oder einfühlsam zu sein.
Lösung: Verabschiede dich von Multi-Tasking, sag öfter „Nein“ zu zusätzlichen Aufgaben, Terminen oder Events. Achte auf deine Pausen und insbesondere auf ausreichend Schlaf. Mache eine Atemübung anstatt durch Social Media zu scrollen.
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Du fühlst dich unsicher
Das Nervensystem scannt ständig nach Gefahren. Das ist erstmal normal und läuft bei allen Menschen im Hintergrund ab. Kommt das System zur Bewertung „unsicher“, laufen automatisierte Prozesse ab. Fühlst du dich nicht sicher, zeigt sich das in deiner Atmung, deiner Haltung, deiner Stimme und deiner Mimik. Du wirkst dann z.B. verschlossen oder defensiv.
Lösung: Falls du dich vorbereiten kannst, mache einige Regulationsübungen. In einer überraschend unsicheren Situation fokussiere dich kurz auf deinen Stand und deine Atmung. Stelle dich stabil und aufrecht hin und spüre deine Verbindung zur Erde. Atme bewusst ruhig durch die Nase ein und aus.
Falls du das kennst: Achte darauf, deine Stimme ruhig zu führen. Komme bei Aussagen am Satzende nach unten. Damit wirkst du souverän. Falls du das nicht kennst – ich kann es dir zeigen.
Dein Gedankenkarussell macht was es will
Im Kontakt mit deiner Gesprächspartnerin tauchten alte Verletzungen, Erinnerungen, negative Erfahrungen oder Trigger auf. Dein Kopfkino spult dann seinen eigenen Film ab. Dazu gehören Vorannahmen, Bewertungen und alte Kommunikationsmuster. So gerätst du leicht unbewusst in Rückzug oder Verteidigung.
Lösung: Halte inne, sobald du das bemerkst. Versuche, einen Anker in der Gegenwart zu finden, z.B. indem du dich im Raum umschaust und alle runden Dinge zählst. Verbinde dich wieder mit deinem Körper, achte auf deinen Stand (oder Sitz) und deinen Atem.
Fazit
Kurz gesagt: Der Zustand deines Nervensystems entscheidet darüber, ob Kommunikation gelingt oder scheitert. Gespräche unter Stress – das ist keine gute Idee. Wer sein Nervensystem regulieren kann, kann auch klarer und ruhiger kommunizieren.
Mit den S-O-S Übungen habe ich ein hilfreiches Tool zur emotionalen Erste Hilfe und Stressregulation. Ist das was für dich?
Stressregulation mit schlauen Weisheiten? Kürzlich entdeckte ich eine Liste mit japanischen Weisheiten, die sich wunderbar auf den Umgang mit Stress anwenden lassen. Ich habe da mal einen Transfer hergestellt:
Weisheit Nummer 1: Oubaitori – Vergleiche dich nicht mit anderen
Wieso vergleichen wir uns eigentlich ständig mit anderen Menschen? Höher, schneller, weiter – der olympische Gedanke ist doch eigentlich ein anderer. „Dabei sein ist alles!“
Und ich meine, das sollten wir auch auf die anderen Aspekte unseres Lebens, unseres Daseins (ja, das kommt nämlich von „da sein“, jetzt und hier) anwenden.
Egal, ob es um Aussehen, Geld, Macht, Erfolg oder sonst was geht: Bleib bei dir. Was ist für dich relevant, was entspricht deinen Werten? Lass die Anderen ihr Leben leben.
Das ständige Vergleichen mit Idolen oder auch der Nachbarin macht dir völlig überflüssigen Stress. Wieso? Falls der Vergleich krass ausfällt, kommst du in den Kampfmodus. Und da kommen die Stresshormone ins Spiel, der Blutdruck steigt und weitere Stressreaktionen folgen. Hör also auf, dich mit anderen Menschen zu vergleichen.
Weisheit Nummer 2: Kaizen – Verbessere dich kontinuierlich
Das beruht auf Weisheit Nummer 1. Vergleiche dich also nur mit dir selbst. Hast du ein Ziel? Dann zerlege es in kleine, erreichbare Teilziele und gehe vom jetzigen Stand einen Schritt weiter. Einen Schritt schaffst du immer.
Beispiel: Für 2 x 5 Minuten täglich Atemübungen hast du immer Zeit. Soviel Kontrolle über dein Leben ist auch im stressigsten Alltag möglich. Einmal davon vor dem Schlafen, das andere Mal, nun ja, zum Beispiel mittags am offenen Fenster, in der U-Bahn, notfalls auf dem Klo.
Mit dieser kleinen Gewohnheit schaffst du einen Einstieg in deinen Umgang mit Stress. Du wirst bald merken, dass da noch mehr kleine Zeitfenster für deine Stressregulation versteckt sind.
Du brauchst eine Anleitung für eine Atemübung? Beginne mit der 4 – 6 Übung. Zähle beim Einatmen bis vier, beim Ausatmen bis 6 und dann von vorne. So senkst du deine Atemfrequenz und das ist gut zum Abbau von Stress. Übrigens: So baue ich Stress ab
Weisheit Nummer 3: Wabi-sabi – Akzeptiere Unvollkommenheit
Dann kommt der Tag, an dem du halb krank bist, die Kinder Brechdurchfall haben und die Chefin dir mit einem Abgabetermin im Nacken sitzt. Oder der Tag, an dem du mit deinem Partner einfach mal den ganzen Tag die Zeit vergisst – zack, Atemübungen auch vergessen.
Halb so wild. Morgen kann es ja weiter gehen. Sei gnädig mit dir und schick das schlechte Gewissen in die Wüste.
Weisheit Nummer 4: Mottainai – Wirf nichts unnötig weg, sondern schätze seinen Wert
Puh, wie bringe ich das jetzt mit Stressregulation in Verbindung?
Zunächst denke ich an die gängigen Methoden des Aussortierens. Du nimmst einen Gegenstand, zum Beispiel ein Kleidungsstück in die Hand und nimmst ihn nochmal wahr – mit allen Sinnen. Wie fühlt es sich an? Wie riecht es? Du hast vielleicht eine Erinnerung dazu oder ein Gefühl? Kommt ein Bewegungsimpuls? Wegwerfen oder reinkuscheln? Das alles ist schon Achtsamkeit. Nimm dir solche Momente.
Zum anderen denke ich an die Schätze, die du so angesammelt hast und neu entdecken kannst: das Buch mit den zauberhaften Bildern oder Gedichten. Die Stifte für das Handlettering, das du lernen wolltest. Hast du jetzt eine Viertelstunde dafür? Nutze sie und schätze damit deine Gegenstände.
Im Hier und Jetzt etwas mit Freude tun, auch das ist Stressregulation.
Weisheit Nummer 5: Gaman – Begegne schwierigen Aufgaben mit Würde
Einen neuen Umgang mit Stress finden – ja, das kann eine schwierige Aufgabe sein. Befasse dich damit. Anstatt zu jammern und zu leiden – geh der Sache auf den Grund. Wie entsteht dein Stress? Was löst ihn aus? Welche Abläufe kannst du verändern? Mit wem kannst du dich echt darüber austauschen und dich persönlich weiter entwickeln?
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Weisheit Nummer 6: Shikita ga nai – Akzeptiere, was du nicht ändern kannst und lass los
Oder auch auf Englisch: Love it, change it or leave it.
Manchmal geht es um deine Haltung zu etwas. Ich vergeude zum Beispiel keinen Gedanken daran, dass mir der Haushalt auf den Wecker geht und ich gerade viel lieber schreiben oder Rad fahren würde.
Ein leckeres Essen, eine aufgeräumte Küche und etwas Frisches zum Anziehen sind mir wichtig. Dazu gehören halt auch die weniger Spaß machenden Aufgaben (bei mir zum Beispiel Abwaschen). Ich fokussiere meine Gedanken dann eher auf das Ergebnis: „Wie schön ist es morgens in meine Küche zu kommen.“ Oder ich mache mir Zeit im Haushalt so angenehm wie möglich, zum Beispiel mit motivierender Musik oder einem interessanten Podcast.
Welches sind deine Gedanken, die dir Stress machen? Achtung, manchmal kommt hier wieder Weisheit Nummer 1 ins Spiel! Welche Gedanken kannst du anders betrachten? Welche kannst du loslassen?
Weisheit Nummer 7: Omoiyari – Kümmere dich um andere
Jetzt denkst du vielleicht „Mein ganzer Stress ist doch da, weil ich mich dauernd um andere kümmere.“ Das braucht vielleicht ein wenig mehr Analyse.
„Nur wenn du selbst gut stehst, kannst du andere gut halten.“ (Kati Bohnet) – Das heißt, achte auf dich und deine Pausen.
„Kümmern“ kommt von Kummer. Sich um andere „sorgen“ ist auch nicht besser. Was genau tust du? Vielleicht machst du dir dann weniger Kummer und Sorgen.
Wie ist deine Haltung zum „Kümmern“? Was bekommst du zurück? Ein Lächeln, einen Dank? Machst du es mit Freude? Machst du es aufgrund sozialen Drucks?
Ich glaube, die Weisheit meint auch, sich selbst nicht immer so wichtig zu nehmen. Denken wir in größeren Zusammenhängen, verlieren die eigenen Sorgen manchmal an Wichtigkeit.
Die Inspiration zu diesem Blogartikel verdanke ich einem älteren Newsletter von Nadja Buoyardane von Granatgrün. Sie adaptierte die sieben japanischen Weisheiten für Tipps zum besseren Schreiben.
„Susanne, wie schaffst du es, gelassen durch den Kita-Alltag zu kommen?“
Diese Frage stand als Leitthema über meinem Interview mit Kita-Leiterin Susanne Schmitt.
Durch meine Weiterbildung zum Thema Nervensystem und Stressregulation und meine Arbeit als Integrationsfachkraft in verschiedenen Kindertagesstätten habe ich mich intensiv mit dem Thema Stressregulation in der Kita intensiv befasst. Im Kita-Bereich erlebe ich häufig gestresstes Personal, was sich natürlich auch auf die Kinder und die Kommunikation mit den Eltern und Kolleginnen auswirkt.
Statt nach den Gründen für den Stress zu suchen, fragte ich nun umgekehrt, lösungsorientiert. Eine Kita, in der mir der Stresspegel niedriger erscheint, ist der Waldkindergarten in Lohr. Die Leiterin, Susanne Schmitt, strahlt für mich diese Haltung der Souveränität und Gelassenheit aus, die das möglich macht. Daher bat ich Susanne um dieses Interview.
Welche Strategien oder Routinen hast du entwickelt, um Stress im Kita-Alltag zu bewältigen?
Eine gute Vorbereitung ist mir wichtig. Das heißt, vor Teamsitzungen die Tagesordnungspunkte klar strukturieren und bei Festen, vor Terminen und in stressigen Zeiten die anfallenden Aufgaben im Team oder unter den Eltern verteilen. Mit dem Team viel im Kontakt zu sein und gemeinsam nach Lösungen zu suchen, hat sich außerdem bewährt. So können unterschiedliche Ideen und Herangehensweisen einbezogen werden.
Wie gehst du mit unerwarteten Herausforderungen oder Konfliktsituationen im Kita-Alltag um?
Ich versuche ruhig zu bleiben und die Situation aus der Sicht des/der anderen Person zu beleuchten. Was sind die Gefühle und Bedürfnisse dahinter? Wieso könnte/n die Person/en so gehandelt haben?
Gleichzeitig ist es mir wichtig, mich selbst im Blick zu behalten. Wie geht es mir damit? Was brauche ich?
Ich reflektiere gerne mit Teammitgliedern oder dem Vorstand die Problematik, um weitere Einschätzungen zu erhalten. Daraus ergibt sich ein Bild, das mir als Basis für weitere Herausforderungen dient.
Wie unterstützt du dein Team dabei, ruhig und fokussiert zu bleiben, auch in hektischen Momenten?
Ich achte auf eine gute Zusammenarbeit im Team. Dazu gehört ein offener, wertschätzender Umgang miteinander. Ebenso das Wissen, dass jede wichtig für die Gemeinschaft ist und mit ihren Fähigkeiten unsere Arbeit bereichert. Sich zu trauen, um Hilfe zu bitten (wir haben ein Codewort für Situationen, in denen wir überlastet sind und jemand anders übernehmen soll), Pausen einhalten und gut für sich selbst zu sorgen sind Grundlagen, ohne die es nicht geht.
Für mich ist es wichtig, Vorbild zu sein und mit den Kindern und den Teammitgliedern ruhig und besonnen zu sprechen, immer wieder Rückmeldung zu geben, wenn mich etwas besonders freut oder stört und offen für alle Anliegen zu sein.
Welche Rolle spielt deine persönliche Selbstfürsorge und wie integrierst du sie in deinen Alltag?
In meiner Freizeit Dinge zu tun, bei denen ich auftanken kann, ist meiner Meinung das Wichtigste. Genug Schlaf, Tanzen, Singen, Freundinnen treffen und Stress vermeiden gehören für mich dazu.
Eine große Herausforderung ist es, sich im Alltag Kindergarten-freie Zeiten zu schaffen. Innerhalb des Teams sind wir über einen Messenger miteinander verbunden, damit alle informiert sind. An freien Tagen einmal nicht erreichbar zu sein und das Handy liegenzulassen, bedarf etwas Übung und Disziplin. Und klare Regeln für alle Teammitglieder, was wichtig ist und was nicht.
Wie schaffst du es, eine Balance zwischen den administrativen Aufgaben und dem direkten Umgang mit den Kindern zu finden?
Da wir im Wald kein richtiges Büro haben, fällt es mir nicht so schwer mich nur auf die Kinder zu konzentrieren. Es kommt jedoch ab und zu vor, dass ich mit meinen Gedanken woanders bin und die gewünschte Präsenz im Umgang mit den Kindern nicht da ist. Dies bedauere ich sehr und übe mich im „Ganz-da-Sein“. Administrative Aufgaben versuche ich im Homeoffice zu erledigen, damit der Ablauf mit den Kindern nicht gestört wird.
Zu meiner Unterstützung haben wir seit September ein „shared leadership“, das heißt ich teile mir die Leitungsaufgaben mit einer Kollegin. Wir sind gerade dabei uns zu finden und ergänzen uns, wo es nötig ist. Zudem nimmt uns der Vorstand viele Aufgaben ab, die normalerweise eine Kindergartenleitung innehat.
Welche Methoden oder Techniken wendest du an, um emotionale Belastungen, die der Beruf mit sich bringt, zu bewältigen?
Im Moment gehe ich gerne zum Tanzen, zum Singen und in den Garten, um abzuschalten. Bei größeren Belastungen beleuchte ich die Themen systemisch und versuche sie auf diese Weise zu verstehen. Dann kann ich besser damit umgehen.
Wie gehst du mit den Anforderungen und Erwartungen von Eltern um, ohne dass es zu Überforderung führt?
Aufgrund des Konzeptes „Waldkindergarten“ und der Organisation als Elterninitiative, haben wir sehr engagierte Eltern, die hinter unserer Arbeit stehen. Alle Familien unterstützen uns in unserem Alltag und kommen direkt auf uns zu, wenn es Unklarheiten gibt. Die Offenheit in unserer „Waldfamilie“ ist besonders und von großer Wertschätzung gegenüber dem Anderen geprägt.
So kommt es nur sehr selten zu Konflikten. Ist dies doch einmal der Fall, werden die Themen mit der Leitung oder einzelnen Teammitgliedern besprochen und bei Bedarf der Vorstand dazugeholt. Zusammen überlegen wir, welche Möglichkeiten wir haben und versuchen dabei die Bedürfnisse aller im Blick zu behalten.
Was hat dir im Laufe deiner Karriere am meisten geholfen, ruhiger und gelassener zu werden?
Natürlich bringen die Jahre, in denen man im Beruf arbeitet, am meisten. In dieser Zeit probiert man aus, lernt stetig dazu, macht positive und negative Erfahrung, lernt viele Menschen kennen und natürlich auch sich selbst. Die Arbeit an meiner eigenen Persönlichkeit ist mir deshalb sehr wichtig geworden. Nur wenn ich mit mir selbst im Einklang bin und wertschätzend mit mir selbst umgehe, kann ich dies auch bei anderen Menschen.
Ich habe mich viel mit der Wahrnehmung von Bedürfnissen, gewaltfreier Kommunikation und den Systemen, in denen wir leben, befasst. Diese Arbeit mit dem „großen Ganzen“ trägt mich weiterhin durch mein Leben und gibt mir Kraft.
Advent im Waldkindergarten
Welche Rolle spielt Kommunikation (mit Eltern, Kindern, dem Team) für eine entspannte Atmosphäre in der Kita?
Kinder wollen begreifen, was um sie herum geschieht und wir Erwachsenen können ihnen helfen, vieles zu verstehen. Mit kindgerechten Begriffen, Beispielen aus ihrem Alltag und die Einbeziehung von Gefühlen und Bedürfnissen, schaffen wir es, die Tage im Wald für Kinder verständlich zu machen. Dafür braucht es Zeit, Geduld, passende Worte und vor allem Einfühlungsvermögen in die Wirklichkeit des Kindes.
Mit den Eltern regelmäßig in Kontakt zu sein, ist eine wichtige Basis für unsere Arbeit. Beim Bringen oder Abholen der Kinder nehmen wir uns Zeit für einen kurzen Austausch und machen Termine aus, falls es mehr zu besprechen gibt. Diese können telefonisch oder persönlich sein. Einmal im Jahr findet ein Entwicklungsgespräch mit den Eltern statt, das einen tieferen Einblick gibt und in dem beide Seiten Zeit haben für Fragen, Bedenken …
Für alle Familien schaffen wir mehrmals im Jahr eine Möglichkeit des gegenseitigen Austausches — zum Beispiel beim Martinszug, bei der Waldweihnacht, beim Ma-Pa-Tag und beim Rausschmiss der Vorschüler. Diese Zusammenkünfte schaffen Verbundenheit und ein Miteinander der gesamten Waldfamilie.
Unsere regelmäßigen Teamsitzungen, Kontakte während der Arbeit, Mitarbeitergespräche und Zusammenkünfte bei besonderen Anlässen/Problemen, tragen zu einem offenen Umgang bei. Wir versuchen anzusprechen, was uns bewegt und die anderen Teammitglieder auch an privaten Themen teilhaben zu lassen. Gegenseitige Unterstützung und das Verständnis für alle Teammitglieder werden dadurch selbstverständlich.
Teambuildingmaßnahmen, gemeinsame Fortbildungen und Ausflüge helfen uns, unsere Teamgemeinschaft aufrechtzuerhalten.
Welche Tipps würdest du jungen Erzieher:innen oder zukünftigen Kita-Leiter:innen geben, um von Anfang an gelassener im Beruf zu sein?
Wichtig finde ich, dass man sich in der Freizeit mit dem beschäftigt, was einem Kraft und Energie gibt und vom Alltag abschalten lässt. Dazu gehören Hobbys, Austausch mit Freunden und ausreichende Ruhephasen. Auch während der Arbeit, die Pausen einhalten und sich etwas gönnen, das einem guttut, trägt zu einem ausgeglichenen Tag bei.
Außerdem sollte man sich immer mit der eigenen Persönlichkeit beschäftigen und das Leben als dauerhaften Lernprozess sehen. Je stabiler man selbst ist, umso leichter fällt es einem offen zu sein für andere Menschen.
Unterstützung von außen annehmen finde ich auch sehr wichtig. Der Vorstand, das Team, die Eltern, alle gehören dazu und können uns in unserem Alltag weiterhelfen.
Die Teilung der Leitung bedarf zwar etwas Einarbeitung, gibt jedoch Halt und ein Gegenüber für einen offenen Austausch. Dies würde ich daher jeder Leitung empfehlen.
Liebe Susanne, ich danke dir ganz herzlich für deine reflektierten und praxisorientierten Antworten. Ich bin sicher, damit gibst du vielen pädagogischen Fachkräften und Leitungen hilfreiche Anregungen.
Fazit
Ich habe bemerkt, dass auch Susanne von „stressigen Zeiten“ sprach. Die lassen sich wohl in keiner Kita vermeiden. Wichtig ist, wie wir damit umgehen:
Im Bewusstsein, dass dies Phasen sind, die vorbeigehen.
Selbstfürsorge und Ausgleich gehören elementar dazu.
Offene, klare und wertschätzende Kommunikation sind tragende Elemente.
Kooperation und Reflexion helfen.
Fachkompetenzen wie bedürfnisorientierte Pädagogik und Systemtheorie geben Orientierung und Sicherheit.
Sich der eigenen Vorbildfunktion bewusst zu sein.
Falls dein Team dabei Unterstützung braucht, wie Stressregulation in der Kita geht, Hintergrundwissen zum Nervensystem braucht sowie Übungen für die Selbstregulation kennenlernen will – dann schau dir meine Informationen über die S-O-S Übungen an. Sie sind die Basis für eine Fortbildung.
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Stressregulation im akuten Zustand ist die eine Seite der Medaille, Selbstfürsorge zur Prävention ist die andere Seite. Dazu ist es hilfreich, sich damit zu befassen „Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burn-out“ – so der Untertitel des Buchs „Resilienz. Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft“ von Christina Berndt.
Krisen treffen jeden Menschen. Die einen verarbeiten sie leichter, andere reagieren verzweifelt und kommen nicht mehr aus ihrem Gefängnis von Angst, Wut oder Depression. Was sind die Ursachen unterschiedlicher Reaktionen? Wie finden Menschen nach Schicksalsschlägen neuen Lebensmut? Was können wir im Alltag für unsere Widerstandskraft tun? Die Wissenschaftsjournalistin Christina Berndt geht diesen Fragen nach. Sie zeigt wissenschaftlich fundiert und doch gut lesbar, welche Möglichkeiten wir haben.
Worum geht es in dem Buch?
Die Autorin beschreibt im ersten Kapitel den täglichen Stress, woher in unserer Gesellschaft die psychischen Belastungen kommen können und ganz konkret an einigen Fallbeispielen traumatische Erlebnisse und Krisen.
Wissenschaftliche Untersuchungen liefern den Hintergrund für das Verständnis, warum viele Menschen trotz hoher Belastungen, Krankheiten oder Schicksalsschläge glücklich sind und ihr Leben meistern. Ergänzt wird das durch Wissen über die Wirkzusammenhänge im menschlichen Gehirn – von Umwelt, Neurobiologie, Genetik und Epigenetik.
Ein wichtiges Kapitel ist für mich natürlich „Wie man Kinder stark macht“. Da Kinder noch stark von Erwachsenen abhängig sind, seien sie auch wesentlich mehr auf unterstützende Systeme angewiesen. Selbstvertrauen stärken, Wissen um eigene Kompetenzen, sich selbst als wertvoll erfahren und Selbstwirksamkeit erleben, das sind die wesentlichen Antworten hierfür.
In „Lehren für den Alltag“ zeigt Berndt auf, welche Strategien wir auch als Erwachsene noch lernen können, um psychische Stärke zu entwickeln. Die haben wir wahrscheinlich alle schon mal gehört, aber: Wiederholung verankert das Wissen tiefer. Und ob wir alle schon nutzen? Das findest du am besten selbst heraus.
Was mich an diesem Buch fasziniert hat
Das Buch ist wissenschaftlich fundiert und hat einen umfangreichen Anhang mit den zitierten Studien. Gleichzeitig ist es gut lesbar und mit den vielen Fallbeispielen anschaulich und nachvollziehbar.
Zum persönlichen Gebrauch ergänzt Berndt das Buch mit Selbsttests (Wie gestresst bin ich? Wie resilient bin ich?), Listen (Was stark macht und was schwach; Was ist eigentlich wie stressig?) und Anleitungen für Achtsamkeit und zum Abschalten.
Die gesammelten Krisen eines Menschenlebens bieten dem, der aus ihnen lernt, am Ende einen bunten Strauß an Bewältigungsstrategien.
Berndt schreibt, Resilienz kann auch instabil sein. Was in der einen Krise geholfen hat, mag für eine andere weniger nützlich sein. Daher ist es eine lebenslange Aufgabe, sich den Herausforderungen des Lebens neu zu stellen und auch stets neue Kraft dafür zu tanken.
Was dieses Buch für meine Arbeit bewirkt
Ich fand es spannend, die zahlreichen Beispiele zu lesen. Vielleicht geht es dir wie mir: In meiner kleinen „Blase“ von Menschen, die ich kenne, sind längst nicht alle Arten menschlicher Krisen vertreten. Hier hat das Buch meinen Blick erweitert. So wächst auch Verständnis für das Verhalten anderer Menschen – oft können sie zum momentanen Zeitpunkt nicht anders handeln. Ihr Nervensystem ist halt so, wie es gerade ist.
Außerdem ermutigt das Buch, die psychische Widerstandskraft stetig weiterzuentwickeln. Daran arbeite ich sowohl mit den Kindern in der Heilpädagogik als auch mit Menschen in meinen Seminaren zur Stressregulation.
(Ich habe das Buch in einer Ausgabe von 2015 gelesen, so fand ich es in der örtlichen Stadtbibliothek. Die überarbeitete Ausgabe enthält neueste Studien u.a. zum posttraumatischen Wachstum und noch mehr hilfreiche Tipps und Empfehlungen.)
Bücher können es dir als pädagogische Fachkraft leichter machen, mit dem Stress in der Kita umzugehen. Als Pädagogin, die Fortbildungen für Erzieherinnen hält, und mit Begeisterung liest, entdecke ich immer wieder Schätze. Die Themen sind so vielfältig, wie die Ursachen für den Stress in der Kita. Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten oder Behinderung, verletzendes Verhalten von pädagogischen Fachkräften, Eingewöhnung und Bindung, Selbstfürsorge, Vorbild sein.
Fast alle Links führen zum Autorenwelt-Shop, der Bücher fair für die Autor:innen verkauft. Ansonsten empfehle ich natürlich den Gang zur Buchhändlerin deines Vertrauens vor Ort.
von Kathrin Hohmann, Lea Wedewardt u.a. Band 1: Zeit für Veränderung Band 2: Einfach machen Kartenset zum Buch (33 Karten) Vlg. Herder, Freiburg 2023
Ich habe Band 1 schon gelesen und das Kartenset angeschafft. Das Buch rückt die pädagogische Fachkraft und ihre Wirkkraft in den Fokus. „Wie willst du Pädagogik leben?“ lautet eine der Leitfragen. Die unterschiedlichen Autor:innen regen dazu an, die eigene Person und den Auftrag zu reflektieren. Hannah Vasiliadis schreibt zum Beispiel darüber, warum Gelassenheit unbedingt in den Kita-Tag gehört. Prädikat lesenswert! Mit den Karten kannst du im Team immer wieder einzelne Punkte leicht herausnehmen und diskutieren.
Ratgeber für Erzieher*innen in Krippe, Kita und Ganztag von Corinna Scherwath Vlg. Cornelsen, Mülheim 2021
Ausgehend vom ausführlich erklärten bindungsorientierten Ansatz zeigt die Autorin auf, wie du als pädagogische Fachkraft auch in Krisen mit Kindern umgehen kannst. Der Umgang mit starken Emotionen und Impulsivität ist ebenso Thema wie der Umgang mit bindungsverletzten Kindern. In einem umfangreichen Kapitel zeigt auch Scherwath den „Wirkfaktor Persönlichkeit“ der Fachkraft auf. Reflexion ist angesagt!
von Astrid Boll und Regina Remsperger-Kehm verlag das netz, Weimar 2022
Wie kannst du damit umgehen, wenn Kolleginnen oder Mitarbeiter sich Kindern gegenüber verletzend verhalten? Das Thema ist wirklich nicht einfach, von den Autorinnen jedoch wissenschaftlich hinterlegt und für die Praxis hervorragend aufbereitet. Reflexion und Prävention sind dafür grundlegende Elemente. Prädikat: Lohnend!
in Krippe, Kita und Kindertagespflege von Lea Wedewardt und Kathrin Hohmann
Basics des Nervensystemwissens, ausführliche Erklärung von Bedürfnisorientierung – einschließlich der Bedürfnisse der Fachkräfte – und der Umgang mit Konflikten: ein fachlich in jeder Hinsicht empfehlenswertes Buch mit hoher Praxisorientierung. Wenn du nur eines meiner empfohlenen Bücher lesen kannst, dann nimm das!
Die inklusive Kindertageseinrichtung
Wege zum gemeinsamen Lernen von Patti Gould und Joyce Sullivan Vlg. modernes lernen Dortmund 2015
Schon ein wenig älter, jedoch durchaus empfehlenswert im Umgang mit Kindern mit kognitiven oder motorischen Beeinträchtigungen, Dyspraxie, Autismus-Spektrums-Störungen, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen, Sehbeeinträchtigungen (ich nutze die im Buch genannten Bezeichnungen).
Die Autorinnen geben zunächst eine Übersicht von Auffälligkeiten und Herausforderungen innerhalb der jeweiligen „Störungen“. Die weiteren Kapitel gliedern sich nach verschiedenen Stationen im Kita-Alltag: Station mit Bauklötzen, Sandkasten und Wasserspiele, Rollenspiele, Übergänge, Mahlzeiten, … Dabei zeigen sie auf, was für Kinder mit den unterschiedlichen Störungen bei der jeweiligen Station relevant oder hilfreich sein kann. Fazit: sehr praxisorientiert.
von Mechthild R. von Scheurl-Defersdorf (Hrsg.) Vlg. Lingva Eterna 2020
Ein Buch von Pädagogen für Pädagogen, also aus der Praxis. Das Buch lenkt den Blick auf die Sprache der pädagogischen Fachkraft in Kita und Schule. Hier finden sich eine Fülle von Anregungen, die sich auf eine gelungene Kommunikation mit Kindern, Kolleginnen oder Eltern auswirke und somit auch Stress reduzieren.
Übungen, Impulse und Tipps für mehr Ausgeglichenheit von Alexandra Kerr-Meng Vlg. Klett 2022
Dieses Heft (der Reihe „Professionell und stark in der Kita“ hat 64 Seiten) zum Thema Selbstfürsorge habe ich inzwischen gelesen. Hier ist auch Hintergrundwissen zum Thema Stress enthalten. Die Autorin hat ein schönes Arbeitsheft zum Ausfüllen und Reflektieren entwickelt, das zahlreiche Praxisbeispiele aus der Kita enthält. Die Tipps sind leicht umzusetzen.
Resilienz – Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft
Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burn-out von Christina Berndt Vlg. dtv 2015
Das habe ich heute in unserer Stadtbibliothek entdeckt und gleich ausgeliehen. Vielleicht findest du bei dir auch solche Schätze, die dich nur die Leihgebühren kosten.
Auch hier geht es wohl intensiv um Reflexion und Selbstfürsorge. Du kannst dir beim großen Versand mit A… eine Leseprobe anschauen bzw. für den Kindle herunterladen sowie ein Interview mit der Autorin lesen.
Übungen, Praxiswissen und Impulse für mehr Souveränität von Alexandra Kerr-Meng Vlg. Klett 2023
Veränderungen erleben viele Fachkräfte als Stress. Wie du damit anders umgehen kannst, das zeigt dieses interessante Heft auf. Wege zu mehr Gelassenheit: Klingt auf alle Fälle auch lesenswert.
Übungen, Impulse und Tipps für innere Stärke von Alexandra Kerr-Meng Vlg. Klett 2022
In der gleichen Reihe (Professionell und stark in der Kita) schreibt die Autorin hier einen persönlichen Begleiter für innere Widerstandsfähigkeit und Resilienz.
Kannst du mir noch weitere Bücher empfehlen? Was sind deine besten Tipps zum Lesen? Schreib mir gern einen Kommentar. Ich danke dir!
Wie oft am Tag sagst du „Ich muss …“ oder „Ich darf nicht …“? Diese Sätze sind Ausdruck innerer Überzeugungen, die dein Fühlen, Denken und Handeln maßgeblich beeinflussen. Und sie zeigen sich eben auch in deiner Sprache. Diese sogenannten Glaubenssätze haben sich oft bereits in unserer Kindheit entwickelt und können – unreflektiert – bis ins Erwachsenenalter unser Leben prägen.
Einer der häufigsten Glaubenssätze lautet: „Ich darf nicht – ich muss.“ Dieser Satz steht für eine tief verwurzelte Überzeugung, dass wir keine Wahl haben und ständig äußeren oder inneren Zwängen unterworfen sind. Doch wie wirkt sich diese Denkweise auf unser Stressempfinden und unsere Sprache aus? Wie beeinflussen Worte wie „müssen“ und „dürfen“ unser Selbstbild und die Wahrnehmung unserer Freiheiten?
In diesem Beitrag werde ich einen Blick darauf werfen, wie der Glaubenssatz „Ich darf nicht – ich muss“ dein Leben beeinflussen kann. So kannst du verstehen, warum diese innere Überzeugung zu Druck und Überforderung führt und wie du durch eine bewusste Änderung deiner Sprache mehr Freiheit und Gelassenheit gewinnen kannst.
„Die meisten Glaubenssätze – positive wie negative – stammen aus den Kindertagen. Es sind Sätze, die Sie entweder direkt zu hören bekamen oder sich indirekt durch das Beobachten Ihres Umfelds erschlossen haben. Klassische Beispiele wären: Dränge dich nicht in den Vordergrund. Lass dir nichts gefallen. Sei ehrlich. Warum prägen uns frühen Erfahrungen so nachhaltig? Kinder sind wahre Meister der Anpassung. Sie verfügen über sehr feine Antennen und erkennen genau, für welches Verhalten sie Anerkennung und ein Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit erhalten. Sie folgen den Regeln ihres Umfeldes und dem dazugehörigen Zeitgeist. Daraus entwickelt jeder Mensch in den ersten Lebensjahren seinen Charakter und Lebensstil – ob er will oder nicht.“
Dabei gibt es positive Glaubenssätze wie „Wer wagt, gewinnt.“ oder „Ich bin liebenswert.“ Diese können ermutigen, trösten oder Selbstwert stärken. Negative Glaubenssätze hingegen sind beispielsweise „Ich bin ungeschickt.“ oder „Andere Menschen wollen mich ausnutzen.“ Sie blockieren die persönliche Entwicklung, können Erfolg oder Beziehungen beeinträchtigen.
Korina Dielschneider erklärt in ihrem Artikel über die innere Kritikerin anschaulich, was dann passiert:
Wenn die innere Kritikerin dich unter Druck setzt und dir beispielsweise einflüstert, dass du dich jetzt endlich einmal zusammenreißen sollst, dann könnte dahinter der Glaubenssatz Nur wer sich anstrengt, wird erfolgreich liegen. Gemeinerweise sind die Glaubenssätze oft „undercover“ unterwegs und wir merken gar nicht, wie sie unser Verhalten beeinflussen. Wenn Glaubenssätze zwanghaft werden, d.h. wir unser Verhalten nicht mehr frei steuern können, dann sprechen wir von Antreibern.
Korina vertieft auch, welche Einflussfaktoren unsere Glaubenssätze prägen und wie du deine innere Kritikerin zu deiner Verbündeten machen kannst. Das ist wirklich lesenswert.
Sprache als Ausdruck von Glaubenssätzen
Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Wörter, achte auf deine Wörter, denn sie werden Handlungen, achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten, achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter, achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.
Alles beginnt in deinem Kopf. Was du also abgespeichert hast, deine inneren Überzeugungen, zeigt sich in deiner Sprache. Welche dieser Sätze kennst und sagst du?
„Ich muss endlich den Keller aufräumen.“
„Ich muss mehr Sport treiben.“
„Ich darf nicht so viel essen.“
„Warum müssen wir immer zu spät kommen?“
„Ich muss noch den Monatsabschluss machen.“
Sätze mit „müssen“ sind so verbreitet in unserer alltäglichen Sprache, dass wir sie als ganz selbstverständlich wahrnehmen. Wir denken, das sei normal. Manche Menschen spüren den Unterschied der Formulierungen gar nicht mehr. Wer immerzu Sätze mit „ich muss“ bzw. „ich darf nicht“ sagt und hört, kann leicht die eigenen Bedürfnisse aus dem Blick verlieren.
Lass die beiden Sätze einmal auf dich wirken und sprich sie dir je zweimal laut vor:
„Ich muss jetzt aufstehen.“
„Ich stehe jetzt auf.“
Na, wie hören sich die Sätze für dich an? Womit fühlst du dich wohler? Hast du körperliche Wahrnehmungen dazu? Bei welchem Satz ist es deine Entscheidung? Nehmen wir einmal an, du stehst ohnehin auf. Dann ist es doch angenehm und souverän, aus eigener (seelischer) Kraft aufzustehen, oder?
Der Glaubenssatz ‚Ich darf nicht – ich muss‘ im Alltag
Gehen wir die Beispielsätze der Reihe nach durch. Was verbirgt sich hinter dem Keller aufräumen? Ist es dir peinlich, den Kaminfeger oder die Zählerableserin durch dein Keller-Chaos zu führen? Dann sind es womöglich die Ansprüche, die du an dich selbst hast, ordentlich und perfekt zu sein? Stören dich die Altlasten, die du gerne loswerden würdest? Ist der Keller womöglich nur symptomatisch für ganz andere Lebensbereiche, in denen du gerne aufräumen würdest?
Gute Vorsätze, wie mehr Sport zu treiben, entstehen meist nicht aus innerer Überzeugung oder dem Bedürfnis, sich mehr zu bewegen. Sie sind oft das Ergebnis dessen, was „man“ tun sollte, vernünftig wäre oder gesellschaftlichen Konventionen entspricht. Sprachlich zeigt sich das durch den Ausdruck „müssen“. Er signalisiert die Fremdbestimmung. Innerlich gehst du jedoch in den Widerstand und daher wird oft nichts aus den Vorsätzen.
Die Formulierung „ich darf nicht“ ist sprachlich einfach eine Umkehrung von „ich muss“. Während „ich muss“ das Gebot ausdrückt, zeigt sich im „ich darf nicht“ das Verbot.
Auch die Frage nach dem „immer zu spät kommen“ ist Ausdruck einer Fremdbestimmung. Dir ist es unangenehm, du wärst gerne pünktlich. Offenbar hast du den Eindruck, dem hilflos ausgeliefert zu sein. Ist das wirklich so?
Du siehst also, wie dieser Glaubenssatz Handlungsfreiheit und Selbstbestimmung einschränkt.
Stress als Folge des Glaubenssatzes ‚Ich darf nicht – ich muss‘
In meinen Seminaren lasse ich eine Teilnehmerin eine Anzahl von 6 bis 7 Sätzen mit „müssen“ hintereinander vorlesen. Meist geht es darum, was die Person an diesem Tag oder am nächsten vorhat. Die Zuhörerinnen stöhnen oft schon beim Hören, äußern ihr Bedauern über das aufgezählte Pensum und nehmen den Druck wahr, den die Vorleserin vermittelt.
Ich höre dann, dass die Teilnehmerinnen jeden Tag eine große Anzahl vergleichbarer Sätze sagen. Und ich höre den Dauerdruck, der damit verbunden ist. Lang andauernder Druck führt zu Stress, sich der Last ausgeliefert fühlen und kann krank machen.
Wie die AOK anschaulich beschreibt, schwächt Dauerstress „… das Immunsystem, drosselt Wachstumsprozesse und kann die Funktion weiterer Prozesse im Körper beeinträchtigen.“ Von schlechtem Hautbild, Kopfschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, beeinträchtigter Schlafqualität, Rückenschmerzen, sowie etlicher psychischer Symptome bis hin zu Erschöpfung und Burnout reichen die Folgen.
Es ist also ein wichtiger Aspekt der Selbstfürsorge, dich selbst zu beobachten. Wie ist dein Gebrauch im Alltag dieser Sätze mit „ich muss“ und „ich darf nicht“?
Die Macht der Sprache: Wie wir durch Worte Stress abbauen können
Sei Souverän über deine Zeit schreibe ich in 3 Sprachtipps für mehr Souveränität. Dort kannst du auch nachlesen, warum ich Souverän hier großschreibe😉.
Der innere Dialog
Es geht darum, die Fremdbestimmung hinter dir zu lassen. Es ist deine Entscheidung, ob du aufstehen musst oder ob du mit Freude aufstehst. Ja, ich weiß, das ist gewöhnungsbedürftig. Deine Haltung macht den Unterschied. Ob du dich über den Duft des Kaffees am Morgen freust oder über die bunten Herbstblätter auf dem Weg an die Arbeit – entdecke die kleinen schönen Momente. Überlege dir vielleicht schon am Abend, worauf du dich am nächsten Vormittag freuen kannst. So entwickelst du allmählich eine Gewohnheit. Und dann wird das Aufstehen eines Tages Freude machen.
Welche Sätze hast du bislang mit „müssen“ gesagt? Gelingt es dir, dafür selbst eine Änderung in deiner Haltung zu entwickeln? Schreib sie dir auf und erinnere dich täglich mit einem kleinen Hinweis, einem Spruch oder Bild daran.
Formuliere selbstbestimmt
Natürlich kommen uns leicht die Alternativen zu „ich muss“ in den Sinn: Formulierungen, die Freiraum und Möglichkeiten eröffnen, wie „ich darf“ und „ich wähle“. Manchmal sind sie sinnvoll. Ich persönlich bin damit zurückhaltend.
Es klingt einfach merkwürdig, wenn ich sage „Ich darf jetzt noch schnell zum Einkaufen.“, „Ich darf jetzt die Steuererklärung machen.“ oder „Ich wähle, den Wäscheberg zu waschen.“
In diesen Fällen ist es doch passender, einfach das tatsächliche Handeln zu benennen: „Ich gehe jetzt zum Einkaufen.“ oder „Ich mache jetzt die Steuererklärung.“
Häufig nutzen wir „ich muss“ auch für etwas, das erst in der Zukunft stattfinden wird. Die Sätze lauten dann
„Ich muss nächste Woche die Einladungen verschicken.“
„Wir müssen übermorgen zu den Großeltern fahren.“
Erst vor kurzem berichtete mir eine Teilnehmerin im Seminar, wie wenig Lust die Kinder immer auf Besuche bei den Großeltern hatten und welche Stimmung dort in Luft lag. Mich wunderte das nicht. Die Kinder spürten den Druck und die Fremdbestimmung.
Hier ist es passend, die grammatikalische Zukunftsform zu nutzen. Das Futur I mit „werden“ schafft die zeitliche Distanz, nimmt die geplante Aktion aus dem Hier und Jetzt und kann dadurch Stress reduzieren. Die Sätze klingen dann so:
„Ich werde nächste Woche die Einladungen verschicken.“
„Wir werden übermorgen zu den Großeltern fahren.“
Sätze mit „ich wähle“ sind dann stimmig, wenn es um echte Wahlfreiheit geht.
„Ich wähle die Farben der neuen Vorhänge bewusst aus.“
Sätze mit „ich darf“ passen, wenn ich jemandem von einer Erlaubnis erzähle, die ich bekommen habe.
„Ich darf zur Premiere kommen.“
Übrigens:
Viele Sätze mit „ich darf“, die du hörst oder liest sollen nur höflich klingen: „Ich darf Sie bitten …“. Das geht auch ohne, indem du klar formulierst: „Ich bitte Sie, …“
Beobachte dich selbst. Welche Sätze und Formulierungen mit „ich muss“ und seinen Alternativen sagst du? Und beobachte andere Menschen. Wie wirken sie mit unterschiedlichen Formulierungen auf dich?
Wie man den Glaubenssatz ‚Ich darf nicht – ich muss‘ auflöst
Glaubenssätze sind lange verankert. Es wird auch eine zeitlang dauern, sie aufzulösen.
An erster Stelle steht der Entschluss dazu. Es ist deine Entscheidung, ob und wie intensiv du dich mit dem Glaubenssatz „ich muss – ich darf nicht“ befasst.
Begib dich auf Forschungsreise. Woher kommt dieser Glaubenssatz? Ob im stillen Kämmerlein mit Stift und Jounaling, ob mit der besten Freundin im Cafe, ob mit einem Coach beim „Walk and Talk“ – probiere unterschiedliche Strategien aus. Sie werden auch unterschiedliche Perspektiven und Ergebnisse bringen.
Ergänzend kannst du mit Meditation oder den S-O-S Übungen deine Selbstfürsorge stärker in den Blick nehmen. Sie bereitet den Boden für dein persönliches Wachstum und die Entwicklung neuer Glaubenssätze.
Etwas wegzulassen ist für das Gehirn oft schwieriger, als etwas neues hinzufügen. Das kannst du mit einem alternativen Gedankenmuster oder Glaubenssatz umgehen. Formuliere positive Affirmationen, die auf deine Situation passen. „Ich will, kann und werde … „
Schließlich braucht es ein Einüben und die Entwicklung der Gewohnheit. Bilde dir dafür eine kleine Routine – ob morgens oder abends, im Kopf, mit dem Tagebuch oder mit einer App. Was ist deine Wahl?
Fazit
„Ich muss gar nichts.“ stimmt natürlich nur begrenzt. Du musst eines Tages sterben, wie alle Menschen. Du musst die Feuerwehr rufen, wenn es brennt und du musst auch etwas essen. Doch wie du zum Essen kommst, das ist deine Entscheidung. Du hast sie mit deiner Berufswahl, deinem Lebensentwurf und vielen weiteren Entscheidungen bis heute getroffen.
Und dann heißt es, dazu zu stehen, das Beste daraus zu machen, das Heft des Handelns in der Hand zu halten, souverän zu bleiben oder wieder zu werden.
Mit deiner Wahl der Ausdrucksweise kannst du immer frei entscheiden, wie du mit Aufgaben, Anforderungen oder Projekten umgehst. Damit hast du ein wichtiges Instrument zum Umgang mit Stress selbst in der Hand – äh, vielmehr im Mund. Du kannst mit Sprache dein Leben aktiv gestalten. Ich wünsche dir gutes Gelingen.
Willst du deine Sprache konkreter in den Blick nehmen? Dann kann dich ein KommunikationsCoaching dabei begleiten.