Heilpädagogische Sprachförderung – mit klaren Ansagen mehr erreichen

Heilpädagogische Sprachförderung

In der Frühförderung in meiner heilpädagogischen Praxis oder in der Einzelintegration in Kitas begleite ich seit Jahren immer wieder Kinder mit Sprachentwicklungsverzögerungen und Sprachentwicklungsauffälligkeiten. Klare Ansagen und eindeutige Aufforderungen sind dabei ein wesentlicher Schlüssel in der heilpädagogischen Sprachförderung.

Wer braucht heilpädagogische Sprachförderung?

Kinder mit Entwicklungsverzögerungen und Behinderungen haben häufig Sprachentwicklungsstörungen. Jedoch erlebe ich auch, dass Kinder, bei denen eine Verhaltensauffälligkeit im Vordergrund steht, Sprachauffälligkeiten zeigen, die ihre Kommunikation beeinträchtigen.

Die Erscheinungsformen sind vielfältig:

  • „Einfache“ Sprachentwicklungsverzögerungen, das heißt, die Kinder sind sechs oder mehr Monate hinter der durchschnittlichen Entwicklung altersgleicher Kinder
  • Schwierigkeiten mit der Aussprache
  • Sprachverständnisschwierigkeiten
  • Probleme mit Satzbau und Grammatik
  • Zu geringer aktiver Wortschatz
  • Kommunikationsprobleme, d.h. die Kinder könnten zwar sprechen, tun dies aber nicht oder nicht ausreichend und bekommen dadurch soziale Schwierigkeiten
  • Kombinationen aus diesen Schwierigkeiten

Wann immer es um die Beeinträchtigung der Teilhabe der betroffenen Kinder am Alltagsgeschehen geht, ist heilpädagogische Sprachförderung angezeigt. Je nach Schweregrad und Art der Beeinträchtigungen kommen unterschiedliche Kostenträger und Maßnahmen infrage.

Das gute Sprachvorbild ist wichtig

Für mich als Heilpädagogin ergibt sich daraus zunächst, ebenso wie für alle beteiligten Eltern und Erzieherinnen, die Notwendigkeit, die eigene Sprache zu reflektieren und sie den Bedürfnissen und dem Verständnis der Kinder anzupassen. An erster Stelle steht hier das gute Sprachvorbild. Und wie schon häufiger gesagt: Wir sind immer Modell, ob wir das gerade beabsichtigen und daran denken oder nicht!

Ich will hier einen Aspekt herausgreifen, der es den Kindern leicht macht, meiner Sprache, meiner Aufforderung zu folgen. Es geht darum, Aufforderungssätze deutlich zu formulieren.

Ich erläutere an dieser Stelle gern nochmal die Satzarten. Es gibt in unserer Sprache drei Satzarten: Aussagesätze, Aufforderungssätze und Fragesätze. Ich gebe zur Verdeutlichung jeweils ein einfaches Beispiel:

Aussagesatz: „Julian holt die Schere.“ Mit Aussagesätzen beschreiben wir Begebenheiten und Sachverhalte. Wir geben Informationen weiter. Bei Aussagesätzen senken wir am Ende des Satzes unsere Stimme. „Julian holt die Schere.“

Aufforderungssatz: Hier klingt die Formulierung so: „Julian, hole bitte die Schere!“ Hier steht am Satzende ein Ausrufezeichen. Die Stimme klingt bestimmt. Die Satzmelodie geht dabei am Ende leicht herunter. „Julian, hole bitte die Schere!“

Fragesatz: Hier gibt es mehrere Varianten. Ich gebe zwei Beispiele. Das erste lautet: „Julian, holst du die Schere?“ Die zweite lautet: „Holt Julian die Schere?“ Am Ende des Fragesatzes steht ein Fragezeichen. Die Stimme bleibt am Satzende oben. „Holt Julian die Schere?“

Was ist das bloß für ein Durcheinander?

Im allgemeinen Sprachgebrauch gibt es ein weit verbreitetes Durcheinander dieser Satzarten. Fragen, Aussagen und Aufforderungen sind bunt gemischt. Die Satzmelodie und der Satzbau widersprechen dann der inhaltlichen Intention. Stell dir vor, du bist mit einem Kind im Waschraum und sagst

  • „Würdest du dir bitte die Hände waschen?“

Das ist eine Frage. Im Grunde hast du eine Aufforderung im Sinn und das darfst du auch. Du bist für die Hygiene in der Einrichtung oder Familie verantwortlich und du hast einen Erziehungsauftrag. Sinnvoll ist hingegen 

  • „Tim – wasch dir bitte die Hände!“

Warum die Kinder dann nicht folgen (können)

Kinder folgen gerne, wenn sie der Aufforderung folgen können. Mit Sprachstrukturen im Konjunktiv II („Würdest du …“) sind sie überfordert. Die vermeintliche Höflichkeit darin ist für sie eher verwirrend und führt zu Fehlinterpretationen und Missverständnissen. Kinder versuchen, am Tonfall und der Mimik zu entschlüsseln, was Erwachsene wollen. Schwingt dabei auch noch eine Emotion mit, wird es noch komplizierter und für die Kinder zu einer unlösbaren Aufgabe.

Die Folge: Eine Spirale von „Unfolgsamkeit“, Ärger und Widerstand kommt in Fahrt. Im besonderen Maße gilt dies für Kinder mit Entwicklungsauffälligkeiten, Behinderungen und Migrationshintergrund. Für Kinder aus bildungsfernen Familien gilt dasselbe. Die Ursache ist dabei häufig ein geringer Wortschatz und infolgedessen Sprachverständnisschwierigkeiten.

Wie geht es leicht?

Dabei kann es ganz leicht sein: Mit einfachen und klaren Aufforderungen wissen Kinder, woran sie sind, was wir von ihnen erwarten und können gut folgen. In Verbindung mit den 3A, (3A – In 3 Schritten mehr Aufmerksamkeit erreichen) dem Ansprechen mit dem Namen, dem Anschauen und dem Atmen, ist für die Kinder eine hohe Wertschätzung verknüpft. Zusammen mit dem „bitte“ ist es höflich genug.

Ich gebe dir zunächst einige Beispiele aus dem ganz normalen Familien- und Kita-Alltag. Sie sind zunächst als Frage oder im Konjunktiv II formuliert – und dann gebe ich dir eine klare Aufforderung als Alternative. Erkennst du die Unterschiede?

(im Morgenkreis) Wohin willst du eigentlich?Markus – setze dich bitte neben mich!
Räumst du das Spiel auf?Lina – bitte bring das Spiel ins Regal zurück!
Kommt ihr endlich?Kinder – kommt jetzt in die Garderobe!
Bist du mal still?Kevin – jetzt ist Vorlesezeit. Hör gut her!
Kannst du die Schuhe anziehen?Jana – zieh deine Schuhe an!
Ich möchte, dass du dich entschuldigst.Kai – du hast Selina wehgetan. Gib ihr die Hand und tröste sie!

Welche Wirkungen erzielst du mit der klaren Aufforderung?

  • Du bist (als ErzieherIn) Modell für andere ErzieherInnen, PraktikantInnen u.a.
  • Du gibst (anderen) Eltern Beispiel für alltagstaugliche Handlungsanweisungen.
  • Kinder gewinnen damit eine gute Orientierung und können ihr Verhalten ausrichten.
  • Deine klare Führung ermöglicht den Kindern leichtes Folgen.
  • Positive Verstärkung stabilisiert Selbstvertrauen und ermöglicht Lernen.
  • Ironischen oder genervten Tonfall ersetzt du durch einen wohlwollenden, freundlichen Tonfall – damit vermittelst du Wertschätzung.
  • Klare Grammatik ist ein gutes Sprachvorbild.

Wie ich kurze, klare Aufforderungen in der Heilpädagogik nutze

Nun habe ich noch einige Beispiele aus der heilpädagogischen Sprachförderung. Hier ist die Wirkung noch weiterreichend. Ich benenne sie bei jedem Kind.

Fallbeispiel Sandra

Sandra hat eine leichte Entwicklungsverzögerung, eine Sprachentwicklungsstörung, auditive Speicherschwäche, eine beeinträchtigte visuell-räumliche Wahrnehmung und ist 5 Jahre alt. Mit klaren Aufforderungen bekommt sie Hilfen bei der Strukturierung ihrer Aufgaben sowie räumliche und zeitliche Orientierung.

Ich achte darauf, die Aufforderungen kurz und prägnant zu formulieren. So gelingt es Sandra leicht zu folgen und die Aufgaben richtig zu lösen. Das führt zu Erfolgserlebnissen, größerer Sicherheit und somit einem positiven Verlauf.

z.B. beim Arbeitsblatt:
„Schreib zuerst deinen Namen oben auf das Blatt!“
„Male alle Dreiecke rot!“

z.B. beim Eisenbahn bauen:
„Stell den Bahnhof hinter die Brücke!“

z.B. beim Karten austeilen:
„Gib jedem 6 Karten!“

Fallbeispiel Paul

Paul ist drei Jahre alt und hat eine Sprachentwicklungsverzögerung. Paul hat schon einen kleinen Wortschatz, ihm fehlen jedoch noch viele Funktionswörter wie Präpositionen (auf, unter …), Ortsangaben (z.B. die Kiste) und Personalpronomen (ich, du, wir, mir, dir …). Auch bei Paul ist es wichtig, die Aufforderungen kurz und einfach zu formulieren. Erste kleine Erweiterungen kann ich einfließen lassen.

z.B. beim Bilderbuch:
„Zeig mir den Hund auf dem Spielplatz!“

z.B. beim Aufräumen:
„Leg die Autos in die Kiste!“

z.B. beim Kaufladenspiel:
„Gib mir bitte zwei Tomaten!“

Fallbeispiel Martin

Martin ist vier Jahre alt und hat eine umfassende Sprachentwicklungsstörung. Hinzu kommen Auffälligkeiten in auditiver Wahrnehmung, Aufmerksamkeitssteuerung und Verarbeitungsgeschwindigkeit. Wir arbeiten an Oberbegriffen (z.B. Gemüse, Möbel) und Pluralbildung (z.B. Buch – Bücher). Sobald Nebensätze eingeschoben werden, schaut er mich irritiert an. Die kurzen klaren Ansagen machen es Martin möglich zu folgen.

z.B. beim Spiel mit Tieren:
„Gib mir alle Bauernhoftiere!“

z.B. beim Memory:
„Leg deine Elefanten auf den Stapel!“

z.B. beim Bilderbuch:
„Zähle alle Schmetterlinge!“

Das sind die Prinzipien in der heilpädagogischen Sprachförderung

Die Wortwahl und auch die Satzlänge richtet sich also nach den Fähigkeiten des Kindes. Ich spreche grammatikalisch richtig, jedoch in einfachen Sätzen. Ich biete nur soviel Information an, wie das Kind momentan braucht und erfassen kann. Diese Informationen (Wörter, grammatikalische Anpassungen im Wortbild, Satzbau) wiederhole ich häufig, wenn es zur Situation passt. Damit hat das Kind die Möglichkeit, im Gespräch zu bleiben und, aufbauend auf seinen sprachlichen Stand, weiterzulernen.

Ich lege Wert darauf, dass Sprachförderung alltagsintegriert ist. So erweist sich für das Kind die Sprache als nützlich in der Kommunikation. Das heißt, sie geschieht zum Beispiel in Alltagssituationen wie Hände waschen oder Tisch decken. Natürlich findet sie auch im Spiel statt. Im Spiel verbringt das Kind einen wesentlichen Teil seiner Zeit. Hier geschieht Lernen mit Freude und in Beziehung.

Hat dein Kind einen Förderbedarf in diesem Bereich oder hast du Interesse an einer Fortbildung für deine Kita?

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