Gastbeitrag von Korina Dielschneider
Wenn sich eine Sprachexpertin und ein Life Coach begegnen, dann können spannende Fragen entstehen. Zum Beispiel die, wie Sprache und Persönlichkeitsentwicklung zusammenhängen. Das haben Kommunikationsexpertin Heike Brandl und ich uns bei einem informellen Austausch gefragt.
Als Coach vertrete ich die Ansicht, dass Geschichten unsere Weltsicht bestimmen. Genauer gesagt, die Art, wie wir uns selbst unsere Geschichte erzählen. Meine eigene Geschichte ist die einer Ausdauerläuferin. Zumindest erzähle ich sie mir so am liebsten. Obwohl ich gut in der Schule war, durfte ich zunächst nicht auf die weiterführende Schule und habe mein Abitur dann berufsbegleitend am Abendgymnasium gemacht. Trotz aller Widrigkeiten bin ich erstaunlich weit gekommen. Wie weit wäre ich wohl gekommen, wenn ich mir die Geschichte unter der Überschrift „Sie hätte gekonnt, aber sie durfte ja nicht“ erzählt hätte?
In diesem Beitrag geht es um Sprache und die Macht der Geschichten, die wir uns erzählen und wie wir sie für unsere persönliche Veränderung nutzen können.
Die Macht unserer erzählten Geschichten
Alle Menschen erzählen sich Geschichten über ihr Leben. Wenn zwei Menschen ein zur Hälfte gefülltes Glas sehen, ist es für den einen halb leer und für den anderen halb voll. Die Unterschiedlichkeit liegt in der individuellen Bewertung. An diesem sehr einfachen Beispiel lässt sich auch die Macht von Geschichten zeigen. Hierzu zwei beispielhafte, weit verbreitete Geschichten:
Ich bin nicht gut genug
Dies ist eine sehr verbreitete Geschichte. Es spielt für diesen Beitrag keine Rolle, wie diese Geschichte zustande gekommen ist. Interessant ist hier nur ihre Auswirkung. Wenn jemand davon überzeugt ist, nicht genug zu sein, ist das wie ein Wahrnehmungsfilter und alle Ereignisse werden unter diesem Gesichtspunkt interpretiert. Von kleinen Fehlern bis zu verpatzten Chancen: Alles lässt sich dadurch erklären, dass man eben nicht gut genug ist.
Stellen wir uns für einen Moment jemanden vor, der sich die Geschichte erzählt „Ich kann alles schaffen, wenn ich es wirklich will.“ Dieser Mensch hat einen vollkommen anderen Wahrnehmungsfilter und wird – genau wie der andere – Beweise für seine Annahme finden. Er wird die kleinen und großen Erfolge sehen und sie nicht auf Zufälle und Glück zurückführen.
Da kann man nichts machen
Wie wird sich wohl ein Mensch verhalten, der davon überzeugt ist, seine Lebensumstände nicht ändern zu können? Schwer vorstellbar, dass dieser Mensch aufbegehrt. Im besten Fall ist er ein Meister der Akzeptanz des Unvermeidlichen. Andererseits gibt es immer wieder erstaunliche Geschichten von Menschen, die das scheinbar unabänderliche nicht hinnehmen und mit Mut und Entschlossenheit dagegen angehen.
Greta Thunberg ist so ein Mensch, der es nicht länger hinnehmen wollte, dass die Gesellschaft nichts gegen die Klimakrise unternehmen wollte und sich deshalb im August 2018 mit einem Schild mit der Aufschrift „Schulstreik“ vor das schwedische Parlament in Stockholm begab. Wir alle wissen, wie die Geschichte weiterging.
Beide Beispiele zeigen, dass unsere Geschichten eine mächtige Wirkung auf uns haben. Und deshalb ist es nicht egal, wie wir selbst mit uns sprechen. Im Gegenteil: Es ist wichtig, dass wir erkennen, welche Geschichten wir uns über unser Leben erzählen. Die Veränderung dieser Geschichten ist der erste Schritt, dem nach und nach weitere folgen werden.
Sprache und Denken
Sprache bestimmt unsere Wahrnehmung der Welt. Diese Ansicht wird von verschiedenen linguistischen Theorien geteilt, z.B. der Whorf-Hypothese oder dem linguistischen Determinismus. Demnach beeinflusst die Struktur einer Sprache auch die Wahrnehmung der Welt. Soweit ich es überblicke, ist diese Frage wissenschaftlich nicht abschließend geklärt. Einigkeit scheint aber darin zu bestehen, dass das Denken komplexerer bzw. abstrakterer Gedanken Sprache als Voraussetzung hat.
Wenn das so ist, dann scheint mir logisch, dass auch die Art, wie ich über mich und die Welt spreche, meine Wahrnehmung davon verändert. Das heißt, wenn ich freundlicher über mich spreche, werde ich auch freundlicher über mich denken.
Sprachliche Muster beobachten und verändern
Nehmen wir das Beispiel von oben. Wenn ich mich dabei ertappe, das Glas als halb leer zu bezeichnen, dann kann ich diesen Ausdruck korrigieren und stattdessen von einem halb vollen Glas sprechen.
Es ist vermutlich nicht einfach, lange eingeschliffene Denk- und Sprachmuster überhaupt zu erkennen. Das soll diese kleine Geschichte illustrieren:
Ein junger Fisch schwimmt durch das Meer und begegnet einem älteren Fisch. Der ältere Fisch grüßt den jungen Fisch und sagt: „Guten Morgen, wie ist das Wasser heute?“ Verwirrt antwortet der junge Fisch: „Was ist Wasser?“ (Quelle)
Selbstreflexion und Achtsamkeit können dabei helfen, den eigenen Mustern auf die Spur zu kommen. Wenn wir innere Stimmen erkennen, die wir nicht mögen, können wir anfangen, an ihrer Stelle geeignetere Ausdrücke zu setzen.
Statt: „Ich kann das nicht.“ → „Ich kann das noch nicht.“
Statt: „Da kann man nichts machen.“ → „Es sieht schwierig aus, aber ich kann es wenigstens versuchen.“
Es ist nicht notwendig, dass wir schon überzeugt sein müssen. Unser Gehirn lässt sich austricksen, wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden.
Strategien und Beispiele für die Macht der Worte
Fake it until you make it
Die Idee hinter Fake it until you make it ist, dass man sich so verhalten soll, als ob man bereits erfolgreich oder kompetent ist, auch wenn man es noch nicht ist. Es gibt Untersuchungen darüber, dass sich unser Gehirn austricksen lässt. Wenn wir schlechte Laune haben und uns dann im Spiegel anlächeln, kann das die Laune bessern. Wir tun also so, als ob wir gute Laune hätten und wenn es gut läuft, lässt sich unser Gehirn überlisten und schüttet die richtigen Hormone aus.
Wenn ich freundlicher über mich denken möchte, dann kann ich bei der Sprache ansetzen und mir fest vornehmen, nicht mehr abfällig über mich selbst zu sprechen („Ich Idiot, warum habe ich …“). Ganz allmählich wird sich dadurch ein anderes Selbstbild ergeben. Du könntest z.B. sagen „Ich darf Fehler machen und kann daraus lernen.“ Oder „Niemand ist perfekt und Fehler zu machen gehört zum Menschsein dazu.“
Ich kann, ich will, ich werde
Genau so können wir Sprache bewusst einsetzen, um erwünschte Veränderungen auf den Weg zu bringen. So können wir beispielsweise auf das Wort „muss“ weitestgehend verzichten.
Statt. „Ich muss nach Hause.“ → „Ich will nach Hause.“ Als Daumenregel können wir statt dem unschönen Wörtchen „muss“ die Wörter „wollen, können oder werde“ nutzen. „Ich muss am Samstag arbeiten.“ wird so zu „Ich werde am Samstag arbeiten.“
Ja, es scheint wie eine Kleinigkeit, aber ich bin davon überzeugt, dass die Summe kleiner Änderungen dann irgendwann doch einen Unterschied erzeugen. In Heikes Artikel Wie du dir weniger Druck in der Erziehung machst, findest du noch mehr zum Thema „müssen“.
Eigentlich sollte ich …
Noch ein weiteres Beispiel für eine scheinbar kleine Änderung. Wie oft verwenden wir das Wörtchen eigentlich? „Eigentlich sollte ich jetzt arbeiten.“ – „Eigentlich sollte ich jetzt ins Bett gehen.“ Dieses Wort ist nicht Fisch und nicht Fleisch. Warum arbeitet man dann nicht oder geht ins Bett?
Wenn wir uns sehr oft bei diesem Wörtchen ertappen, erzählen wir unserem Unbewussten die Geschichte von Ohnmacht und mangelnden Gestaltungsmöglichkeiten. Was hindert uns denn daran, das zu tun, was wir eigentlich tun wollen?
Innere Monologe: Wie wir mit uns selbst sprechen
Vermutlich hat jeder schon einmal bei sich selbst oder anderen erlebt, wie wir oder sie bei einem Missgeschick nicht gerade liebevoll mit sich selbst sprechen. Das Handy verlegt? „Das ist mal wieder typisch!“ Den Rucksack in der S-Bahn vergessen – „Klar, dass mir das passiert.“ Genau wie in den Gesprächen mit Anderen, können wir auch hier Veränderungen bewirken, wenn wir darauf achten, wie wir mit uns selbst sprechen und uns selbst genauso wertschätzend und liebevoll behandeln, wie wir es mit einem lieben Freund tun würden.
Persönlichkeitsentwicklung und Sprache: Zwei, die zusammengehören
Persönlichkeitsentwicklung und Sprache gehen Hand in Hand. Worte sind mächtig und wenn wir die Geschichten, die wir uns selbst über uns und die Welt erzählen, anders erzählen, dann verändern wir dadurch auch unsere Sicht auf die Welt.
Allerdings ist Sprache nicht die einzige Möglichkeit, sich persönlich weiterzuentwickeln. Es gibt unzählige weitere Möglichkeiten, denn nicht nur die Methoden, auch die Menschen sind unterschiedlich und sprechen auf unterschiedliche Methoden an.
Wer schreibt hier?
Korina Dielschneider ist zertifizierter Coach und ehemalige Managerin eines IT-Unternehmens. Sie unterstützt Menschen in der Lebensmitte bei der beruflichen und persönlichen Neuorientierung. Neben Coaching bietet sie Workshops (on- und offline) mit Themen rund um die persönliche Weiterentwicklung in der zweiten Lebenshälfte an. Ein regelmäßiges Online-Netzwerktreffen für Menschen ab der Lebensmitte sowie ihr regelmäßiger Newsletter mit Impulsen zur Lebensgestaltung (nicht nur) in der Lebensmitte runden das Angebot ab.
Was für ein genialer Input. Ich werde mir die vielen Beispiele aufschreiben und an die Wand hängen.
Als Hypnosecoach bin ich immer auf der Suche nach einer klaren und positiven Sprache. Danke für diesen tollen Beitrag!
Liebe Eva, Korina hat ganze Arbeit geleistet. Ich danke dir für das Feedback. Heike