Als Heilpädagogin habe ich mit Kindern zu tun, die Entwicklungsverzögerungen, Behinderungen oder Verhaltensauffälligkeiten haben. Irgendjemand hat bei ihnen diagnostiziert, dass sie anders sind als andere Kinder, dass sie Defizite haben und daher besondere Förderung brauchen. Die Gedanken und Gefühle auf Seiten von Eltern und pädagogischen Fachkräften spüren diese Kinder, auch wenn sie sich noch so zurückhaltend oder achtsam äußern. Grund genug, einmal darüber zu schreiben, wie wir das Selbstwertgefühl dieser Kinder stärken können.
Anlass hierfür ist die Blogparade von Wiebke Schomaker, Logopädin, Expertin für Sprachförderung und Autorin des Elternblogs „Starke Sprache“. Wiebke lebt in der Nähe von Hannover. Der Titel ihrer Blogparade lautet: Meine besten Tipps, um das Selbstwertgefühl von Kindern zu stärken. Wiebke will damit Ideen zur Stärkung von Kindern mit Besonderheiten sammeln.
Was bedeutet für mich Selbstwertgefühl?
Mit dem Blick auf Kinder bedeutet Selbstwertgefühl für mich
- Sich selbst wertvoll zu fühlen.
- Unabhängig von Leistung, Erfolg, Können geliebt zu sein.
- Ein positives Bild von sich selbst zu haben.
- Sich unabhängig von Lob und Anerkennung Anderer mit sich zufrieden zu fühlen.
- Das Gefühl zufriedenstellender Beziehungen zu haben.
- Überwiegend wertschätzende und wohlwollende Rückmeldungen von Bezugspersonen, pädagogischen Fachkräften und Gleichaltrigen zu bekommen. Das schließt Sprache, Mimik und Gestik ein.
- Das Gefühl, gemocht und geliebt zu sein.
- Selbstwirksamkeit zu erfahren, das heißt durch eigenes Reden, Verhalten oder Handeln etwas zu bewirken, zu erreichen, zu schaffen.
- Das Gefühl, als Person respektiert zu sein.
- Das Vertrauen und das Zutrauen anderer zu spüren.
Wie erlebe ich das Selbstwertgefühl bei den Kindern, die ich begleite?
Da ist die fünfjährige Sophie. Sie ist clever, eher laut und ungestüm, gerät ständig mit anderen Kindern in Konflikt und zieht dadurch oft den Unmut der Erzieher:innen auf sich. Dabei nehme ich wahr: Sie wird oft genervt, gereizt und schimpfend angesprochen. Sophie mag schon gar nicht mehr auf ihren Namen hören.
Der fünfjährige Luis hingegen ist ein ganz anderer Typ. Er hat eine Sprachentwicklungsstörung und reagiert oft mit unpassenden Antworten, sucht nach Wörtern und hat einige Schwierigkeiten mit der Grammatik. Er fragt mich oft: „Hab ich das gut macht? Ist das richtig?“ Sein älterer Bruder ist ihm sprachlich weit überlegen und ein ausgezeichneter Schüler.
Der sechsjährige Jonas ist sehr zurückhaltend und schüchtern. Er ist nicht so geschickt wie die Gleichaltrigen und vermeidet deshalb alle feinmotorischen Aufgaben oder das Malen. Sobald die Erzieherin eine neue Aufgabe erklärt und zeigt, beginnt er seine Hände zu kneten und auf den Fingernägeln zu kauen.
Das sind meine sprachlichen Tipps, um das Selbstwertgefühl von Kindern zu stärken
Pflege den Namen des Kindes
Der Name ist bei den meisten Menschen das Wort, das sie am liebsten hören. Viele Kinder werden vorwiegend mit Kosenamen oder Abkürzungen angesprochen und nur wenn es ernst wird, beim vollen Namen gerufen. Das ist von Nachteil, denn dann verbindet das Kind mit seinem Namen negative Erfahrungen.
Gerade Kinder, die uns häufig herausfordern, hören ihren Namen oft vorwurfsvoll, mit genervtem Unterton oder abwertend. So ist das auch bei Sophie. Im Gespräch mit Erzieher:innen und Eltern mache ich das bewusst.
Mein Tipp: Sprich den Namen des Kindes stets wohlwollend und freundlich aus. Das geht auch, wenn du gerade etwas Ernstes zu besprechen hast. Selbst wenn du laut schreist, weil Gefahr im Verzug ist, kann der Ton beim Namen wohlwollend sein.
Falls dir das gerade schwerfällt, dann schreibe den Namen einmal senkrecht untereinander und schreibe waagrecht zu jedem Buchstaben ein Adjektiv. Nimm ein Wort, das du magst und das eine positive Eigenschaft des Kindes ausdrückt. So wird dir deutlich, dass das Kind weit mehr ist, als anstrengend oder schwierig.
Sprich das Kind dann oft mit seinem Namen an und lege etwas Weiches und Warmes in deine Stimme. Du wirst mehr Aufmerksamkeit erreichen, eure Beziehung und das Selbstwertgefühl des Kindes damit stärken.
Verzichte auf Lob und Bewertung
„Gut gemacht!“, enthält gleichzeitig auch: Es gibt ein „schlecht gemacht“. Damit wird sich dein Kind fragen „War das gut genug, was ich gemacht habe? Bin ich gut genug, um geliebt zu werden?“ Hier geht es nur um das „anderen gefallen“. Auch der Vergleich mit Geschwistern ist nicht hilfreich. Luis ist eine eigene Persönlichkeit. Jedes Kind ist einmalig. Wie würdest du dich fühlen in solchen Vergleichen?
Mein Tipp: Hilfreicher ist es, dem Kind mit Dank oder beschreibenden Sätzen Wertschätzung zu vermitteln:
- „Du hast dich ganz schön angestrengt!“
- „Das war bestimmt eine knifflige Aufgabe.“
- „Ich danke dir, dass du den Tisch gedeckt hast.“
- „Du warst ganz geduldig/fleißig/achtsam ...“
- „Ich freue mich über deine Idee.“
Noch mehr Tipps und Beispiele findest du in meinem PDF Wertschätzen statt loben leicht gemacht für Eltern und pädagogische Fachkräfte. Mit der Anmeldung zu meinem Newsletter „Sprachnachrichten“ kannst du es dir herunterladen.
Entdecke die Kraft von „Ich bin“
Wie stellst du dich vor? Sagst du „Ich heiße …“ oder „Mein Name ist …“? Ich sage: „Ich bin Heike.“ Damit zeige ich mich als ganzer Mensch mit meiner Persönlichkeit und allem, was zu mir gehört. Das ist weit mehr als mein Name. Wenn ich in eine Kita-Gruppe neu komme, frage ich auch die Kinder so: „Ich bin Heike, und wer bist du?“ Die Kinder antworten üblicherweise dann auch „Ich bin Jonas.“
Mein Tipp: Sprache steckt an. Sei den Kindern Vorbild in dem, wie du dich vorstellst und in dem, wie du über dich redest.
Achte darauf, ob du selbst solche Sätze sagst, wie
- „Ich bin vielleicht blöd.“
- „Ich kann nicht gut singen.“
- „Ich bin so dumm!“
Verzichte auch auf Zuschreibungen bei den Kindern, wie
- „Du bist ein/e richtiger Zappelphilipp / Schnatterliese / Quatschkopf / Prinzessin / Wutbollen …“
- „Du bist so schlimm / ungeschickt / faul / unmöglich / lieb …“
Diese Zuschreibungen können das Selbstbild des Kindes prägen und dazu führen, dass das Kind diesem Bild entsprechen will.
Hingegen kannst du mit folgenden Ideen das Selbstwertgefühl der Kinder stärken: Für jüngere Kinder und Kinder mit Entwicklungsstörungen in Sprache und Lernen sind „Ich-Bücher“ eine hilfreiche Unterstützung. Das können kleine Foto-Einsteckalben sein, in denen Fotos von ihnen selbst, dem geliebten Roller und Lieblingsbuch, Familienmitgliedern, Haustieren und Freunden gesammelt sind. Ein „Ich-Buch“ bietet Gesprächsanlässe und Gelegenheit, Beziehungen zu verdeutlichen, darzustellen, was alles zu dieser kleinen Persönlichkeit gehört, was sie alles ist.
Für ältere Kinder bieten sich Kleingruppenangebote an, in denen es thematisch um das „Ich bin“ geht. Zu einer solchen Modulreihe kann gehören: Ich bin (Name). Ich bin einmalig. Ich bin wertvoll. Ich bin wichtig. Ich bin richtig. Ich bin gewollt. Daraus kann eine pädagogische Fachkraft berührende und prägende Stunden für die Kinder entwickeln. Ein Kind wie Jonas kann hier Stärkung erfahren.
Bringe dem Kind bei, wie es Gespräche führen kann
Selbstwirksamkeit lässt sich auf vielerlei Art erfahren: beim Bauen einer Sandburg, beim Lösen eines Rätsels oder beim Auswählen der Kleidung. Doch auch, wenn das Kind weiß, wie es ein Gespräch führen kann, wie es jemand anspricht, eine Bitte äußert oder einen Konflikt lösen kann, gewinnt es an Selbstsicherheit und stärkt dadurch sein Selbstwertgefühl.
Kennst und nutzt du selbst schon das LINGVA ETERNA Sprach- und Kommunikationsmodell? In meinem dazu verlinkten Artikel findest du einige Beispiele. Du kannst es auch Kindern beibringen. Sie werden es leicht lernen und – wenn sie es selbst bei dir erleben – auch nutzen. Das LINGVA ETERNA Kommunikationsmodell besteht aus fünf Schritten:
- Intention (Was ist deine Absicht?)
- Ansprache (Ansprechen mit dem Namen, Blickkontakt)
- Rahmen (Worum geht es gerade?)
- Diskurs (z.B. Frage und Antwort, Information, Aufforderung und Reaktion)
- Abschluss (z.B. Dank, Gruß)
Im Folgenden moderiere ich eine Situation, wie ich sie tatsächlich in einer Kita erlebt habe. Vier Kinder knien am engen Fensterbrett, um auf dem Kita-Spielplatz den Bauarbeitern beim Bau des neuen Klettergerüsts zuzuschauen. Sophie kommt dazu, will auch schauen und schiebt einen Jungen recht grob zur Seite, sodass alle vier Kinder ins Wanken geraten und zu schimpfen beginnen.
- Ich: „Sophie – was willst du?“
- Sophie: „Ich will auch rausschauen!“
- Ich: „Wissen das die anderen schon?“
- Sophie schüttelt verneinend den Kopf.
- Ich: „Richtig, sie konnten es noch nicht wissen. Sag es ihnen!“
- Sophie: „Ich will auch rausschauen““
- Die Kinder reagieren nicht.
- Ich: „Sophie, wen sprichst du an?“
- Sophie: „Tim, ich will auch rausschauen!“
- Tim dreht sich um, rückt aber nicht. „Dann schau halt!“
- Ich: „Sophie, Tim weiß noch nicht, dass du von deinem Platz hier nichts sehen kannst und was du von ihm willst.“
- Sophie: „Tim, ich will auch rausschauen. Von hier hinten sehe ich nichts. Bitte rutsch ein Stück zur Seite!“
- Tim rutscht ein Stück enger mit den anderen zusammen, Sophie hat nun auch Platz und kann mit rausschauen.
- Ich: „Sophie, Tim hat dir Platz gemacht. Ich danke dir, Tim.“ (Ich übernehme den Abschluss an dieser Stelle. Ich verlange nicht, dass Sophie sich selbst bedankt. Das wird sie durch mein Vorbild mit der Zeit lernen.)
Sophie lernte in diesem geführten Gespräch, dass sie selbst bewirken konnte, nämlich dass Tim ihr Platz machte. Sie lernte, dass sie mit der Struktur des Gesprächs ganz ohne Ärger zu verursachen etwas erreichen konnte. Dies übten wir in verschiedenen Situationen immer wieder ein. Die anderen Kinder hörten natürlich mit und manche lernten es eher als Sophie. So bekam sie noch zusätzliches Feedback: „Sophie, sag mir doch erst, was du willst! Dann geb ich es dir auch.“
Das Selbstwertgefühl von Kindern zu verbessern, ist eine so wichtige Aufgabe, gerade wenn diese Kinder mit Herausforderungen im Leben zu tun haben. Mit klarer und wertschätzender Sprache kannst du dabei viel erreichen.
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