Bist du friedlich ins neue Jahr gestartet? Oder hast du es mit Raketen, Knallern und einer Bombenstimmung begonnen?
So begann ich im Januar 2019 einen Artikel, den ich nun aufgrund des Krieges in der Ukraine leicht überarbeitet wieder aufgreife. Heute ruft mir so eine Ausdrucksweise schon kalte Schauer hervor. Geht es dir auch so? Welche Redewendungen nimmst du nun ganz neu wahr?
Der Weg zum Frieden beginnt in unserer Sprache. Ich will hier deutlich machen, dass wir alle in unserer Alltagssprache unbedacht grob, aggressiv und mit kriegerisch geprägtem Wortschatz sprechen. Woher kommt das? Welche Auswirkungen hat es auf uns selbst und wie kann es anders gehen?
Wie die Geschichte unsere Sprache geprägt hat
Obwohl wir seit über 70 Jahren Frieden in Deutschland haben, ist unsere Sprache noch immer geprägt von kriegerischen und gewalttätigen Ausdrücken und Redewendungen. Das hat gewissermaßen historische Gründe: In unserer Geschichte gab es viele Kriege und der Krieg war in früheren Zeiten Alltag. Es gab selten solch lange Friedensperioden, wie wir sie heute erleben.
Und in vielen anderen Regionen dieser Welt gibt es weiterhin Kriege. Davon hören wir täglich in den Nachrichten. Und auch wenn zwischen vielen Nationen keine Auseinandersetzung mit Waffen stattfindet, gibt es Wirtschaftskriege, da wird in den Verhandlungen mit harten Bandagen gekämpft, da werden die Parteien auf die Folter gespannt. Einige dieser Redewendungen reichen bis ins Mittelalter zurück.
Friedliche Sprache – kriegerische Sprache. Erkennst du den Unterschied? Hast du schon mal darüber nachgedacht – oder zumindest bemerkt – welch unterschiedliche Wirkung das auf dich selbst hat? Mit unseren Wörtern senden wir innere Bilder ans Gehirn. Diese Bilder kommen auch in unserem Unterbewusstsein an und prägen damit wiederum unsere weitere Ausdrucksweise, Gedanken und Verhalten.
Wie ist das mit dem Wort „kriegen“?
Das Wort „kriegen“ klingt wie Krieg und ist mit diesem auch etymologisch (also vom Wort-Ursprung) verwandt. Wir verbinden damit unbewusst Ängste und Gewalt. Wir benutzen es in Sätzen wie
- „Was hast du zu Weihnachten gekriegt?“
- „Ich kriege ein Kind.“
- Wenn sich jemand aufregt, sagt er auch „Ich kriege gleich einen Anfall!“
Stelle dir die Sätze einmal bildhaft vor! Ein Kind kriegen klingt schon nach Kampf. Willst du wirklich einen Herzanfall oder Schlaganfall kriegen?
In der Schweiz hingegen gibt es das Wort „kriegen“ nicht – oder wird zumindest wesentlich seltener gebraucht. Die Schweiz ist ein neutrales Land und führt keine Kriege. So aufschlussreich ist die Sprache. Kriegerische versus friedliche Sprache: Wie klingen die oben genannten Sätze anders formuliert?
- „Was hast du zu Weihnachten bekommen?“
- „Ich bekomme ein Kind.“ (und wenn es noch eine Weile dauert: „Ich werde im Sommer ein Kind bekommen.“ Alternativ geht auch: „Ich werde ein Kind gebären.“)
- Anstatt einen Anfall zu kriegen, sage je nach Situation, z.B. „Meine Geduld ist zu Ende.“ „Diese Situation ist ärgerlich.“ „Tanja, bitte erklär mir, wie es dazu kam!“
„Bekommen“ klingt schon vom Wort weicher und für mich entsteht da ein schönes Bild: Um etwas zu bekommen oder entgegen zu nehmen, stehe ich dem Schenkenden mit offenen Händen und offenem Blick gegenüber. Diese Geste zeigte früher auch die friedliche Absicht zweier Menschen an. Zeigten sie die offenen Hände, war klar, dass keiner eine Waffe in der Hand führt oder aus dem Ärmel zieht.
Ein Kind zu bekommen ist wohl für die meisten Frauen nicht ganz so leicht, wie ein Geschenkpäckchen entgegen zu nehmen. Dennoch macht es deutlich, dass das Kind ein Geschenk ist, das unser Leben bereichert. Und ich habe tatsächlich gehört, dass Hebammen sagen, Frauen die Kinder bekommen, anstatt sie zu kriegen, hätten eine leichtere Geburt. Das allein wäre doch die Sache schon wert: Falls du gerade schwanger bist, lege ich dir sehr ans Herz, dein Kind zu bekommen. Wie gerne hätte ich das auch schon früher gewusst… Der Ausdruck „gebären“ hingegen verdeutlicht den aktiven Part der Frau.
Kennst und nutzt du folgende Redewendungen? Hörst du dich manchmal so reden?
- „Ich habe ein Attentat auf dich vor!“
- (am Telefon) „Ich muss dich jetzt leider abwürgen!“
- „Heute ist ein Bombenwetter!“
- „Der Film war brutal spannend!“
- „Ich habe einen Ratschlag für dich.“
- „Ich könnte dich auf den Mond schießen!“
- (über einen Dritten) „Der Typ hat doch einen Schlag!“
- „Der Termin haut nicht hin.“
Selbst Menschen, die sich bereits mit der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg befasst haben, ist oft nicht bewusst, welch aggressives Potential noch in ihrer Sprache steckt. Es erfordert eine hohe Aufmerksamkeit, denn in der Regel reicht es nicht aus, einzelne Wörter zu tauschen. Wie du in meinem Beispiel oben („Ich kriege gleich einen Anfall.“) gesehen hast, kann es eben auch ganz unterschiedliche Alternativen geben.
Wähle dir eine Situation aus dem beruflichen oder privaten Alltag aus, in der du bislang ein Wort oder eine Redewendung aus dem kriegerischen Bereich gebraucht hast. Finde dafür neue Formulierungen und integriere sie achtsam und allmählich in deine persönliche Sprache. Du wirst über das Hinhören, auch bei anderen, sensibler dafür werden.
Kriegerische versus friedliche Sprache – wie sie im Gehirn wirkt
Die Sprach- und Kognitionswissenschaftlerin Elisabeth Wehling erklärt im „merton magazin“ dazu, dass sich Sprache direkt im Gehirn auswirkt. Ähnlich wie beim Laufen durch eine Wiese allmählich ein Trampelpfad entsteht, entstehen neuronale Verbindungen im Gehirn. Sprachinhalte oder -strukturen, die wir häufig verwenden, schaffen die Voraussetzungen, dass das Gehirn diese kennt und sie auch in Verhalten umsetzen kann. Sie erläutert, dass wir den Begriff „schlagen“ mit einer Hand- und Armbewegung verknüpfen.
Das Wortfeld „schlagen“ ist groß, z.B. Aufschlag, Ratschlag, Vorschlag, Schlagabtausch, Schlagloch, Schlagwort, Ausschlag. Das Verb „schlagen“ kann man verwenden beim Sahne schlagen, etwas schlägt auf den Magen, jemanden beim Spiel schlagen, eine Rechnung überschlagen, die Seite aufschlagen, der Regen schlägt gegen die Fenster und vieles mehr.
Wird aus Sprache Gewalt?
Ich ziehe die Schlussfolgerung: Wenn ich aus diesem Wortfeld häufig Wörter benutze, liegt es nahe, dass ich dann auch leichter zuschlage. Vielleicht mag das mancher als gewagte Theorie einschätzen. Doch bei meiner Recherche fiel mir etwas auf:
Im Januar 2019 (als dieser Artikel entstand) haben verschiedene Zeitungen sich mit dem Thema befasst: Die „Zeit“ vom 09.01.19 berichtet in dem Artikel „Wie aus Sprache Gewalt wird“ über die Brutalisierung der öffentlichen Rede und die dramatischen Konsequenzen für die Demokratie.
Der Bonner General-Anzeiger vom 04.01.19 klärt über Begriffe zum Thema Gewalt in der Gesellschaft auf. Abschließend fasst die Autorin Dorothee Krings zusammen:
„Darum ist Verständigung in einer Gesellschaft nur möglich, wenn um die Bedeutung von Begriffen gerungen wird. Respektvoll. Und auch selbstkritisch.“ Wir tragen mit unserer Sprache folglich auch Verantwortung für unsere Gesellschaft.
Welche Wege präge ich in meinem Gehirn mit meiner Sprache? Und welche willst du prägen? Es ist doch viel schlauer, mit friedlichen, positiven Formulierungen in der Sprache auf die neuronalen Verbindungen im Gehirn einzuwirken.
Suche Frieden und jage ihm nach!
So lautete 2019 die biblische Jahreslosung (Psalm 34,15b). Das ist ein Leitspruch, der das Jahr begleiten und prägen soll. Diese Losung ist wegweisend auch in sprachlicher Hinsicht. Jeder Einzelne ist aufgerufen, Frieden zu schaffen und dies kann ganz leicht in der eigenen Sprache beginnen. Wie das konkret aussehen kann, werde ich gleich erläutern. Zunächst will ich jedoch auf die Bedeutung des Friedens in diesem Psalm hinweisen.
Die Journalistin und evangelische Theologin Anne Kampf schrieb dazu auf evangelisch.de:
In diesem Fall: streben nach dem Frieden, hebräisch „Schalom“. Dieser Begriff bedeutet weit mehr als die Abwesenheit von Krieg oder Streit. Er umfasst laut Bibelwissenschaften.de Bedeutungen wie „ungefährdetes Wohlergehen, Glück, Ruhe und Sicherheit“, „lebensfördernde Geordnetheit der Welt“ oder auch „Zufriedenheit“. Renate Karnstein drückt es so aus: „‚Schalom‘ meint eine tiefe Sehnsucht nach einer heilen, unversehrten Welt, in der keine Gefahr mehr droht. ‚Schalom‘ ist die unverbrüchliche Hoffnung auf ein gerechtes und alle Feindschaft überwindendes Miteinander der ganzen Schöpfung.“
Dieser umfassende Friedensbegriff wirkt sich auf unser ganzes Leben aus. Suche den Frieden! Und ich ergänze: Dann wirst du Frieden finden! Beginne bei dir.
7 Tipps zur friedlichen Sprache
- Werde sensibel für kriegerische und gewalttätige Ausdrücke in der Sprache! Wie wirken diese auf dich selbst und auf deine Gesprächspartner:innen?
- Beginne bei dir selbst Alternativen zu finden! Integriere diese bewusst für vier Wochen in deine aktive Sprache!
- Lasse andere Menschen reden, wie sie es gewohnt sind. Wenn du dich an einer Redewendung störst, wandle sie für dich in Gedanken um.
- Wenn du eine gute Beziehung zu diesem Menschen hast oder die Vermutung, dass das Thema für sie oder ihn interessant ist, suche ein ruhiges Gespräch. Erzähle ihr oder ihm, womit du dich befasst.
- Sei ein positives Beispiel! Sprache steckt an! Indem du Vorbild bist, lernen andere. Mehr dazu in meinem Artikel „Wie du zu einem guten Sprachvorbild wirst“.
- Bring Wertschätzung in deine Sprache! Zum Beispiel, indem du souverän mit Lästern umgehst. Dazu findest du wertvolle Tipps in meiner PDF zum Thema. Für 0 € kannst du dir die PDF herunterladen.
- Nimm die Wörter „Frieden“ und „friedlich“ in deinen aktiven Wortschatz auf. Du wirst erleben, welch positive Wirkung das auf deine eigene Ausstrahlung und die Menschen in deiner Umgebung hat.
- Als Eltern oder pädagogische Fachkraft lege ich dir noch meinen folgenden Artikel ans Herz: Friedliche Sprache in der Pädagogik
Ein spannender und Augen öffnender Beitrag, liebe Heike, den ich gerne weiterempfehle.
In meinem Blogbeitrag über Floskeln https://projekttext.com/wie-sie-floskeln-sprachliche-bilder-und-redewendungen-bewusst-einsetzen hatte ich noch „auf dem Schirm haben“ behandelt, auch das ist eine „kriegerische Formulierung…
Ja, da gibt es noch eine große Anzahl. Wenn du erst einmal sensibilisiert bist dafür, wirst du staunen. Du Auswirkungen in Gesellschaften, wo die Kinder über Jahre und Jahrzehnte im Krieg aufwachsen sind wirklich schlimm – oder mit einem anderen Ausdruck: „verheerend“.