Mechthild von Scheurl-Defersdorf im Gespräch: Weniger Stress durch achtsame Sprache in der Kita

Mechthild von Scheurl-Defersdorf und Heike Brandl

Das Interviewthema „Sprache und Kommunikation zur Stressreduktion in der Kita“ bietet einen spannenden Ansatz, da das Lingva Eterna Sprach- und Kommunikationskonzept explizit darauf abzielt, Sprache bewusst und strukturiert einzusetzen, um die zwischenmenschliche Kommunikation zu verbessern.

So habe ich Mechthild von Scheurl-Defersdorf, die Gründerin von LINGVA ETERNA um ein Interview gebeten. Ich freue mich, dass meine frühere Ausbilderin meiner Anfrage zugestimmt hat und meine Fragen ausführlich beantwortet hat.

Wie kann die bewusste Wahl von Wörtern und Sprachstrukturen den Alltag in der Kita positiv beeinflussen, insbesondere in stressigen Situationen?

Als Erstes bestätige ich gerne, dass dies geht! Der bewusste Umgang mit der Sprache ermöglicht Erziehern und Erzieherinnen weit mehr als nur den Austausch von Informationen. Sie können mit ihrem individuellen Gebrauch der Sprache gute Beziehungen schaffen und ein Klima entstehen lassen, in dem Kinder leicht lernen und in dem auch sie selbst sich wohlfühlen.

Es gibt eine Sprache, die ermutigend ist und guttut. Und ebenso gibt es eine Sprache, die Kraft kostet und einem harmonischen Miteinander im Weg steht. Der Unterschied der beiden zeigt sich in der Wortwahl und in der Art, wie wir unsere Sätze bilden.

Und genau darum geht es bei dem Konzept und der darauf aufbauenden Methode Lingva Eterna. Sie lenken den Blick auf die Struktur der Sprache. Über den Wortschatz und den Satzbau senden wir nämlich unbewusst neben der bewussten Sachinformation eine Parallelbotschaft. Diese wirkt bei jeder kommunikativen Situation mit, natürlich auch bei den genannten stressigen Situationen. Sobald der Inhalt – also die bewusste Botschaft – und die Form – nämlich die Parallelbotschaft – in Einklang sind, wird eine wertschätzende, klare Kommunikation einfach.

Es ist mir ein großes Anliegen, gerade im Bereich Frühpädagogik ein neues Bewusstsein zu schaffen für die Wirkung der Sprache. Erzieher und Erzieherinnen leisten einen enorm wichtigen Beitrag für die Zukunft unserer Gesellschaft.

Gibt es bestimmte sprachliche Muster oder Formulierungen, die besonders hilfreich sind, um den Stresslevel bei Kindern oder Erzieher*innen zu senken?

Herausragend wirksam ist die 3-A-Regel bei der Kontaktaufnahme. Mit ihnen wirken wir zugewandt und bekommen die volle Aufmerksamkeit unseres Gesprächspartners – egal ob bei einem Kind oder einem Erwachsenen. Sie wirken sich sofort spürbar auf die Qualität des Kontakts aus. Die 3 A stehen für Ansprechen ( mit dem Namen), Anschauen und einen Atemzug, bevor wir weitersprechen. Dann heißt es beispielsweise: „Julian (atmen und warten, bis Julian reagiert), ich helfe dir mit deiner Jacke.“ Oder „Markus (Atempause), du rennst gerade. Lauf im Gang bitte langsam!“

Achtsame Kommunikation reduziert Stress

Mit den 3 A nehmen wir Tempo heraus und zeigen durch unsere Zuwendung spürbare Wertschätzung. Dabei ist zu beachten, dass Namen zum Streicheln der Seele da sind. Sie sind nie zum Schimpfen da. Sagen Sie den Namen daher bitte immer freundlich.

Als weiteren sprachlichen Aspekt zum Absenken des Stresslevels mache ich auf den oft inflationären Gebrauch von „müssen“ und „schnell“ aufmerksam. Wer sie häufig gebraucht, erzeugt damit eine Atmosphäre von Druck und Stress. Häufig kommen diese beiden Wörter im Doppelpack daher: „Ich muss noch schnell das Spiel wegräumen. Dann komme ich zu dir.“ Viel angenehmer klingt: „Ich räume das Spiel weg, und dann komme ich gleich zu dir.“

Das bewusste Meiden von Sätzen mit „ich muss“ und „wir müssen“ trägt spürbar dazu bei, den Stresslevel zu senken – bei den Kindern und bei den Erwachsenen.

Welche Rolle spielt das Hinhören und die Aufmerksamkeit in der Kommunikation, wenn es darum geht, stressige Situationen zu entschärfen?

Das Hinhören und die eigene Aufmerksamkeit sind entscheidend für die weitere Entwicklung der jeweiligen Situation. Es ist für den Gesprächspartner wichtig, dass er spürt, dass ich ihn ernst nehme und ihm wertschätzend begegne. Dabei ist es gleich, ob er ein Kind ist oder ein Erwachsener. Die achtsame Kontaktaufnahme mit den 3 A ist ein erster Schlüssel, um Empathie und Zuwendung zu signalisieren.

Dann geht es darum, zu benennen, was ist. Dabei sagen wir, was wir gehört oder gesehen haben. Dies sollen die Erzieher und Erzieherinnen in ihren eigenen Worten wiedergeben, und zwar ohne jegliche Wertung. Das kann dann so klingen: „Jonas (Pause), der Lukas hat dir den Ball weggenommen.“ Oder „Sara (Pause), die Melanie hat dich geschubst, und du hast dich dann am Schrank gestoßen.“ usw. Danach geht das Gespräch konstruktiv weiter, zum Beispiel: „Wie ist das für dich?“ und nach einer Weile: „Was hast du jetzt vor?“ oder „Was kannst du jetzt machen?“

Wie können Erzieher*innen aktiv zuhören, um Konflikte oder Missverständnisse frühzeitig zu erkennen und zu lösen?

Das ist eine gute Frage. Hier habe ich einen praktischen Tipp: Erzieher und Erzieherinnen können sich darin üben, das zu hören, was Kinder oder Erwachsene im Gespräch nicht sagen! Es geht um eine grundlegende Rahmeninformation, die im Gesprächsaufbau sehr häufig fehlt. Dieser fehlende Rahmen führt häufig zu leicht vermeidbaren Konflikten.

Die Situation stellt sich häufig so dar: Die Sprecher gehen davon aus, dass die anderen schon wissen, um was es ihnen geht. Das ist jedoch ein großer Irrtum. Die Absicht des Einzelnen, seine Intention, bleibt für die anderen verborgen. Wenn der Sprecher dann gleich sagt, was der Angesprochene macht oder sagen soll, dann fühlt dieser sich überrumpelt oder sogar angegriffen.

Das klingt dann beispielsweise so: „Hör auf, den Philipp zu schubsen!“ Die Ansprache und ein Rahmensatz entschärfen den Konflikt: „Stopp! Paul (Pause, bis er reagiert), du schubst den Philipp. Das tut ihm weh. Sei friedlich!“ Ähnlich ist es bei Kindern miteinander: „Gib mir das blaue Auto wieder!“ im Vergleich zu „Lorenz, ich spiele gerade mit dem blauen Auto. Gib es mir bitte wieder!“ Der fehlende Rahmensatz ist ein häufiger Grund für viele leicht vermeidbare Konflikte. Erzieher und Erzieherinnen tun gut daran, bewusste auf das mögliche Fehlen eines Rahmensatzes zu achten. Ebenso ist es sinnvoll, dass sie diese fehlende Information ergänzen. Dies entspannt stressige Situationen spürbar.

LINGVA ETERNA Kommunikationsmodell
Lingva Eterna Kommunikationsmodell

Die Grundlage für diesen Gesprächsaufbau bildet das Lingva Eterna Kommunikationsmodell. Der Erfinder, Dr. Theodor von Stockert, betrachtet die Kommunikation als einen Prozess in fünf Schritten. Jeder einzelne Schritt ist wichtig. Sobald ein Schritt fehlt, kommt es leicht zu Missverständnissen oder sogar zu Streitigkeiten. Ebenso ist die Reihenfolge der Schritte wichtig. Sobald zwei Schritte vertauscht sind, geht das Gespräch oftmals in eine unbeabsichtigte Richtung und bringt Irritationen und Missverständnisse mit sich.

Wie lässt sich das Lingva Eterna Konzept in der Kommunikation zwischen Erzieher*innen und Eltern integrieren, um Missverständnisse zu vermeiden und eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen?

Auch hier spielt der Gesprächsaufbau und das Anwenden der fünf Schritte des Lingva Eterna Kommunikationsmodells eine zentrale Rolle. Ein erfolgreiches Gespräch beginnt mit dem ersten Schritt – und das ist die Intention. Es ist wichtig, sie sich wirklich bewusst zu machen! Dann ist der Erzieherin schon vor dem Gespräch mit Eltern klar, worum es dabei gehen soll. Will sie etwas von den Eltern erfahren? Dann wird sie ihnen im weiteren Gesprächsverlauf im vierten Schritt eine oder mehrere Fragen stellen.

Oder will sie, dass die Eltern etwas Bestimmtes tun? Dann wird sie eine Bitte oder eine Handlungsaufforderung formulieren und natürlich keine Frage. Das klingt einfach und logisch. Jedoch gibt es hier ein großes Durcheinander in der Kommunikation. Hierzu gehören die vielen als Fragen formulierten Bitten: „Könntest du dich bitte noch in die Liste eintragen?!“ oder „Würdest du dich bitte in die Liste eintragen?!“

Dies ist nur der Diskurs, der vierte Schritt. Es fehlen im Gesprächsaufbau die Ansprache (zweiter Schritt) und auch der Rahmen (dritter Schritt). Die Formulierung “Könntest du bitte ..?“, ist grammatikalisch gesehen eine Frage. Sie ist jedoch keine echte Frage – sie ist eine Pseudofrage. In Wahrheit soll sie eine Aufforderung sein. Hier wird klar: Die klare Intention wirkt sich im vierten Schritt auf die Satzart aus. Dann gibt es hier einen eindeutigen Fragesatz oder einen eindeutigen Aufforderungssatz. Damit hören die unklaren, vermeintlich höflichen Vermischungen von Frage und Aufforderung auf.

So klingt die vollständige, klare Kommunikation:

  1. Intention: Handlungsaufforderung (findet in Gedanken statt)
  2. Ansprache: „Sophie, … “ (Pause –Ansprache mit den 3 A)
  3. Rahmen: „… du hast mir gerade gesagt, dass du dich an der Aktion x beteiligen wirst. Eine Liste dafür hängt im Gang an der Pinnwand.“
  4. Diskurs: „Bitte trage dich noch ein!“
  5. Abschluss: „Ich danke dir.“

Jeder Schritt ist wichtig, und auch die Reihenfolge der Schritte ist wichtig. Damit wird die Kommunikation klar und wertschätzend – alle Beteiligten wissen, um was es geht und was sie machen sollen. Missverständnisse zwischen Erzieherinnen und Eltern können dann weitgehend der Vergangenheit angehören. So entsteht eine von gegenseitigem Vertrauen geprägte Beziehung.

Welche Unterschiede gibt es bei der Kommunikation zwischen Erwachsenen im Kita-Umfeld im Vergleich zur Kommunikation mit Kindern?

Aus meiner Sicht sollte die Kommunikation mit Erwachsenen ebenso klar und wertschätzend sein wie mit Kindern. Sie sollten immer auf Augenhöhe erfolgen. Dazu gehören vollständige Sätze und klare, wohlwollende Aussagen. Im Umgang mit Kindern erlebe ich es oft, dass Erwachsene mit Kindern manchmal barscher umgehen als mit Erwachsenen. Das liegt dann daran, dass sie im Gesprächsaufbau entweder den Rahmen oder den Diskurs weglassen. Und schon wirken sie genervt oder ärgerlich, obwohl sie es selbst gar nicht so empfinden.

Das sind Sätze wie: „Jetzt liegt hier schon wieder deine Jacke auf dem Boden.“  (Seufz). Hier fehlt die Handlungsaufforderung. Sie ist in der Funktion ersetzt durch das „schon wieder“. Dies jedoch wirkt vorwurfsvoll und stört die gute Beziehung zwischen dem Erwachsenen und dem Kind.

In der Kommunikation mit Erwachsenen im Kita-Umfeld erlebe ich häufig Unsicherheit und sogar Unterwürfigkeit als vermeintliche Höflichkeit: „Wir müssten uns wegen der Situation x von der letzten Woche noch einmal austauschen. Wann würde Ihnen das denn passen?“ Damit machen sich Erzieher und Erzieherinnen klein. Es ist wichtig, dass sie auf Augenhöhe kommunizieren. Bei einem solchen Klima geht dann von alleine viel Stress heraus.

Gibt es spezifische sprachliche Techniken, die dabei helfen können, die Eigenverantwortung und Selbstständigkeit der Kinder zu fördern und gleichzeitig den Stress für die Erzieher*innen zu reduzieren?

Auch hier spielt der Gebrauch der Sprache eine wichtige Rolle. Es gibt eine Sprache, die ermutigt und Möglichkeiten aufzeigt. Eine solche Sprache fördert die Eigenverantwortung und die Selbständigkeit der Kinder.

Dazu gehört das bewusste Entwickeln einer bejahenden, zielorientierten Sprache und Denkweise. Eine solche Sprache kennt kaum das Wort „nicht“. Sätze mit „nicht“ sind jedoch sehr weit verbreitet: „Wirf nicht mit Sand. – Renn nicht durch den Gang. – Nimm dem Jonas das Auto nicht weg. – Mach das Bild nicht kaputt. – Lauft nicht auf die Straße! – Das kannst du noch nicht.“ usw. Eine verneinende Sprache lenkt den Blick auf das, was nicht geht oder was ein Kind nicht machen kann oder nicht machen soll.

Bei einer bejahenden Sprache geben die Erzieher und Erzieherinnen den Kindern statt Verboten und Warnungen vor allem hilfreiche Hinweise und geben – nach einem Rahmensatz – klare, zielorientierte Anweisungen. Damit werden die Kinder zunehmend selbständig.

Es lohnt sich, die zahlreichen Sätze mit „nicht“ zu erkennen und die beabsichtige Botschaften neu zu formulieren, ohne eine Verneinung. Damit geht ein Umdenken einher.

Eine bejahende Sprache kombiniert mit dem Anwenden des Kommunikationsmodells trägt erheblich zu einer entspannten Atmosphäre bei. Kinder lernen dabei zunehmend, selbständig zu denken und Lösungen zu finden. Das ist gut für die Kinder, und es erspart den Erziehern und Erzieherinnen Stress.

Wie kann das Lingva Eterna Konzept dabei helfen, die Kommunikation und Zusammenarbeit im Team der Erzieherinnen zu verbessern, um Stress und Missverständnisse unter Kolleginnen zu reduzieren?

Das ist eine überaus wichtige Frage. Denn eine gelingende Kommunikation und eine geschmeidige Zusammenarbeit sind essenziell für das Klima in der gesamten Einrichtung und für die Gesundheit und das Wohlbefinden aller Teammitglieder.

Hierfür gelten alle Anregungen, die ich in unserem Gespräch bereits genannt habe. Speziell für den guten Umgang im Team nenne ich Ihnen einen weiteren sprachlichen Aspekt: Es ist der bewusste Gebrauch der persönlichen Fürwörter, oder fachsprachlich der Personalpronomen. Dazu gehören die Wörter „ich, du, wir, euch“ usw. Mit den Personalpronomen zeigen Sie sich und schenken spürbare Aufmerksamkeit. Sie wirken mit Ihnen zugewandt und empathisch. Mit ihnen können Sie überall und jederzeit Beziehungen gestalten.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Aus „guten Morgen“ wird „ich wünsche dir einen guten Morgen!“ und aus „danke fürs Helfen!“ wird „ich danke dir, dass du mir / uns geholfen hast!“ Die Personalpronomen lassen sich fast den ganzen Tag anwenden. Sie tragen immer zu einem guten Betriebsklima und zu einer angenehmen Zusammenarbeit bei.

Es dauert freilich seine Zeit, bis jeder und jede Beteiligte die eigene Sprache im eigenen Tempo weiterentwickelt und wandelt. Die gute Nachricht dabei ist, dass Sie gleich heute damit beginnen können, das Potential der Sprache für sich zu entdecken und zu nutzen.

Die Methode Lingva Eterna ist hochwirksam. Sie braucht Training. Meine Anregung ist, dass Sie sich das Kommunikationsmodell mit den fünf Schritten für eine erfolgreiche Kommunikation zutiefst aneignen. Es genügt, es zweimal am Tag für je eine Gesprächssituation anzuwenden.

Kommunikationstrainerin Mechthild von Scheurl-Defersdorf
Mechthild von Scheurl-Defersdorf

Gibt es noch etwas, was du Erzieherinnen und Erziehern mitgeben willst?

Ja, das mache ich gerne. Die professionelle Begleitung von Kindern in der Krippe, im Kindergarten und im Hort ist von herausragender Bedeutung für jedes Kind, für jede Familie und letztlich für unsere Gesellschaft. Ich habe einen heiligen Respekt vor dem, was Erzieher und Erzieherinnen mit den Kindern und auch mit deren Eltern leisten.

Ich danke ihnen von Herzen für ihre segensreiche Arbeit!


Liebe Mechthild, ich danke dir ganz herzlich für dieses tiefsinnige und bereichernde Interview.

Zum Vertiefen empfehlen wir folgende Literatur:

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