Wie oft am Tag sagst du „Ich muss …“ oder „Ich darf nicht …“? Diese Sätze sind Ausdruck innerer Überzeugungen, die dein Fühlen, Denken und Handeln maßgeblich beeinflussen. Und sie zeigen sich eben auch in deiner Sprache. Diese sogenannten Glaubenssätze haben sich oft bereits in unserer Kindheit entwickelt und können – unreflektiert – bis ins Erwachsenenalter unser Leben prägen.
Einer der häufigsten Glaubenssätze lautet: „Ich darf nicht – ich muss.“ Dieser Satz steht für eine tief verwurzelte Überzeugung, dass wir keine Wahl haben und ständig äußeren oder inneren Zwängen unterworfen sind. Doch wie wirkt sich diese Denkweise auf unser Stressempfinden und unsere Sprache aus? Wie beeinflussen Worte wie „müssen“ und „dürfen“ unser Selbstbild und die Wahrnehmung unserer Freiheiten?
In diesem Beitrag werde ich einen Blick darauf werfen, wie der Glaubenssatz „Ich darf nicht – ich muss“ dein Leben beeinflussen kann. So kannst du verstehen, warum diese innere Überzeugung zu Druck und Überforderung führt und wie du durch eine bewusste Änderung deiner Sprache mehr Freiheit und Gelassenheit gewinnen kannst.
Was sind Glaubenssätze?
Die Akademie für Individualpsychologie schreibt:
„Die meisten Glaubenssätze – positive wie negative – stammen aus den Kindertagen. Es sind Sätze, die Sie entweder direkt zu hören bekamen oder sich indirekt durch das Beobachten Ihres Umfelds erschlossen haben. Klassische Beispiele wären: Dränge dich nicht in den Vordergrund. Lass dir nichts gefallen. Sei ehrlich. Warum prägen uns frühen Erfahrungen so nachhaltig? Kinder sind wahre Meister der Anpassung. Sie verfügen über sehr feine Antennen und erkennen genau, für welches Verhalten sie Anerkennung und ein Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit erhalten. Sie folgen den Regeln ihres Umfeldes und dem dazugehörigen Zeitgeist. Daraus entwickelt jeder Mensch in den ersten Lebensjahren seinen Charakter und Lebensstil – ob er will oder nicht.“
Dabei gibt es positive Glaubenssätze wie „Wer wagt, gewinnt.“ oder „Ich bin liebenswert.“ Diese können ermutigen, trösten oder Selbstwert stärken. Negative Glaubenssätze hingegen sind beispielsweise „Ich bin ungeschickt.“ oder „Andere Menschen wollen mich ausnutzen.“ Sie blockieren die persönliche Entwicklung, können Erfolg oder Beziehungen beeinträchtigen.
Korina Dielschneider erklärt in ihrem Artikel über die innere Kritikerin anschaulich, was dann passiert:
Wenn die innere Kritikerin dich unter Druck setzt und dir beispielsweise einflüstert, dass du dich jetzt endlich einmal zusammenreißen sollst, dann könnte dahinter der GlaubenssatzNur wer sich anstrengt, wird erfolgreich
liegen. Gemeinerweise sind die Glaubenssätze oft „undercover“ unterwegs und wir merken gar nicht, wie sie unser Verhalten beeinflussen. Wenn Glaubenssätze zwanghaft werden, d.h. wir unser Verhalten nicht mehr frei steuern können, dann sprechen wir von Antreibern.
Korina vertieft auch, welche Einflussfaktoren unsere Glaubenssätze prägen und wie du deine innere Kritikerin zu deiner Verbündeten machen kannst. Das ist wirklich lesenswert.
Sprache als Ausdruck von Glaubenssätzen
Achte auf deine Gedanken,
denn sie werden Wörter,
achte auf deine Wörter,
denn sie werden Handlungen,
achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten,
achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter,
achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.
Alles beginnt in deinem Kopf. Was du also abgespeichert hast, deine inneren Überzeugungen, zeigt sich in deiner Sprache. Welche dieser Sätze kennst und sagst du?
- „Ich muss endlich den Keller aufräumen.“
- „Ich muss mehr Sport treiben.“
- „Ich darf nicht so viel essen.“
- „Warum müssen wir immer zu spät kommen?“
- „Ich muss noch den Monatsabschluss machen.“
Sätze mit „müssen“ sind so verbreitet in unserer alltäglichen Sprache, dass wir sie als ganz selbstverständlich wahrnehmen. Wir denken, das sei normal. Manche Menschen spüren den Unterschied der Formulierungen gar nicht mehr. Wer immerzu Sätze mit „ich muss“ bzw. „ich darf nicht“ sagt und hört, kann leicht die eigenen Bedürfnisse aus dem Blick verlieren.
Lass die beiden Sätze einmal auf dich wirken und sprich sie dir je zweimal laut vor:
- „Ich muss jetzt aufstehen.“
- „Ich stehe jetzt auf.“
Na, wie hören sich die Sätze für dich an? Womit fühlst du dich wohler? Hast du körperliche Wahrnehmungen dazu? Bei welchem Satz ist es deine Entscheidung? Nehmen wir einmal an, du stehst ohnehin auf. Dann ist es doch angenehm und souverän, aus eigener (seelischer) Kraft aufzustehen, oder?
Der Glaubenssatz ‚Ich darf nicht – ich muss‘ im Alltag
Gehen wir die Beispielsätze der Reihe nach durch. Was verbirgt sich hinter dem Keller aufräumen? Ist es dir peinlich, den Kaminfeger oder die Zählerableserin durch dein Keller-Chaos zu führen? Dann sind es womöglich die Ansprüche, die du an dich selbst hast, ordentlich und perfekt zu sein? Stören dich die Altlasten, die du gerne loswerden würdest? Ist der Keller womöglich nur symptomatisch für ganz andere Lebensbereiche, in denen du gerne aufräumen würdest?
Gute Vorsätze, wie mehr Sport zu treiben, entstehen meist nicht aus innerer Überzeugung oder dem Bedürfnis, sich mehr zu bewegen. Sie sind oft das Ergebnis dessen, was „man“ tun sollte, vernünftig wäre oder gesellschaftlichen Konventionen entspricht. Sprachlich zeigt sich das durch den Ausdruck „müssen“. Er signalisiert die Fremdbestimmung. Innerlich gehst du jedoch in den Widerstand und daher wird oft nichts aus den Vorsätzen.
Die Formulierung „ich darf nicht“ ist sprachlich einfach eine Umkehrung von „ich muss“. Während „ich muss“ das Gebot ausdrückt, zeigt sich im „ich darf nicht“ das Verbot.
Auch die Frage nach dem „immer zu spät kommen“ ist Ausdruck einer Fremdbestimmung. Dir ist es unangenehm, du wärst gerne pünktlich. Offenbar hast du den Eindruck, dem hilflos ausgeliefert zu sein. Ist das wirklich so?
Du siehst also, wie dieser Glaubenssatz Handlungsfreiheit und Selbstbestimmung einschränkt.

Stress als Folge des Glaubenssatzes ‚Ich darf nicht – ich muss‘
In meinen Seminaren lasse ich eine Teilnehmerin eine Anzahl von 6 bis 7 Sätzen mit „müssen“ hintereinander vorlesen. Meist geht es darum, was die Person an diesem Tag oder am nächsten vorhat. Die Zuhörerinnen stöhnen oft schon beim Hören, äußern ihr Bedauern über das aufgezählte Pensum und nehmen den Druck wahr, den die Vorleserin vermittelt.
Ich höre dann, dass die Teilnehmerinnen jeden Tag eine große Anzahl vergleichbarer Sätze sagen. Und ich höre den Dauerdruck, der damit verbunden ist. Lang andauernder Druck führt zu Stress, sich der Last ausgeliefert fühlen und kann krank machen.
Wie die AOK anschaulich beschreibt, schwächt Dauerstress „… das Immunsystem, drosselt Wachstumsprozesse und kann die Funktion weiterer Prozesse im Körper beeinträchtigen.“ Von schlechtem Hautbild, Kopfschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, beeinträchtigter Schlafqualität, Rückenschmerzen, sowie etlicher psychischer Symptome bis hin zu Erschöpfung und Burnout reichen die Folgen.
Es ist also ein wichtiger Aspekt der Selbstfürsorge, dich selbst zu beobachten. Wie ist dein Gebrauch im Alltag dieser Sätze mit „ich muss“ und „ich darf nicht“?
Die Macht der Sprache: Wie wir durch Worte Stress abbauen können
Sei Souverän über deine Zeit schreibe ich in 3 Sprachtipps für mehr Souveränität. Dort kannst du auch nachlesen, warum ich Souverän hier großschreibe😉.
Der innere Dialog
Es geht darum, die Fremdbestimmung hinter dir zu lassen. Es ist deine Entscheidung, ob du aufstehen musst oder ob du mit Freude aufstehst. Ja, ich weiß, das ist gewöhnungsbedürftig. Deine Haltung macht den Unterschied. Ob du dich über den Duft des Kaffees am Morgen freust oder über die bunten Herbstblätter auf dem Weg an die Arbeit – entdecke die kleinen schönen Momente. Überlege dir vielleicht schon am Abend, worauf du dich am nächsten Vormittag freuen kannst. So entwickelst du allmählich eine Gewohnheit. Und dann wird das Aufstehen eines Tages Freude machen.
Welche Sätze hast du bislang mit „müssen“ gesagt? Gelingt es dir, dafür selbst eine Änderung in deiner Haltung zu entwickeln? Schreib sie dir auf und erinnere dich täglich mit einem kleinen Hinweis, einem Spruch oder Bild daran.
Formuliere selbstbestimmt
Natürlich kommen uns leicht die Alternativen zu „ich muss“ in den Sinn: Formulierungen, die Freiraum und Möglichkeiten eröffnen, wie „ich darf“ und „ich wähle“. Manchmal sind sie sinnvoll. Ich persönlich bin damit zurückhaltend.
Es klingt einfach merkwürdig, wenn ich sage „Ich darf jetzt noch schnell zum Einkaufen.“, „Ich darf jetzt die Steuererklärung machen.“ oder „Ich wähle, den Wäscheberg zu waschen.“
In diesen Fällen ist es doch passender, einfach das tatsächliche Handeln zu benennen: „Ich gehe jetzt zum Einkaufen.“ oder „Ich mache jetzt die Steuererklärung.“
Häufig nutzen wir „ich muss“ auch für etwas, das erst in der Zukunft stattfinden wird. Die Sätze lauten dann
- „Ich muss nächste Woche die Einladungen verschicken.“
- „Wir müssen übermorgen zu den Großeltern fahren.“
Erst vor kurzem berichtete mir eine Teilnehmerin im Seminar, wie wenig Lust die Kinder immer auf Besuche bei den Großeltern hatten und welche Stimmung dort in Luft lag. Mich wunderte das nicht. Die Kinder spürten den Druck und die Fremdbestimmung.
Hier ist es passend, die grammatikalische Zukunftsform zu nutzen. Das Futur I mit „werden“ schafft die zeitliche Distanz, nimmt die geplante Aktion aus dem Hier und Jetzt und kann dadurch Stress reduzieren. Die Sätze klingen dann so:
- „Ich werde nächste Woche die Einladungen verschicken.“
- „Wir werden übermorgen zu den Großeltern fahren.“
Sätze mit „ich wähle“ sind dann stimmig, wenn es um echte Wahlfreiheit geht.
- „Ich wähle die Farben der neuen Vorhänge bewusst aus.“
Sätze mit „ich darf“ passen, wenn ich jemandem von einer Erlaubnis erzähle, die ich bekommen habe.
- „Ich darf zur Premiere kommen.“
Übrigens:
Viele Sätze mit „ich darf“, die du hörst oder liest sollen nur höflich klingen: „Ich darf Sie bitten …“. Das geht auch ohne, indem du klar formulierst: „Ich bitte Sie, …“
Beobachte dich selbst. Welche Sätze und Formulierungen mit „ich muss“ und seinen Alternativen sagst du? Und beobachte andere Menschen. Wie wirken sie mit unterschiedlichen Formulierungen auf dich?
Wie man den Glaubenssatz ‚Ich darf nicht – ich muss‘ auflöst
Glaubenssätze sind lange verankert. Es wird auch eine zeitlang dauern, sie aufzulösen.
- An erster Stelle steht der Entschluss dazu. Es ist deine Entscheidung, ob und wie intensiv du dich mit dem Glaubenssatz „ich muss – ich darf nicht“ befasst.
- Begib dich auf Forschungsreise. Woher kommt dieser Glaubenssatz?
Ob im stillen Kämmerlein mit Stift und Jounaling, ob mit der besten Freundin im Cafe, ob mit einem Coach beim „Walk and Talk“ – probiere unterschiedliche Strategien aus. Sie werden auch unterschiedliche Perspektiven und Ergebnisse bringen. - Ergänzend kannst du mit Meditation oder den S-O-S Übungen deine Selbstfürsorge stärker in den Blick nehmen. Sie bereitet den Boden für dein persönliches Wachstum und die Entwicklung neuer Glaubenssätze.
- Etwas wegzulassen ist für das Gehirn oft schwieriger, als etwas neues hinzufügen. Das kannst du mit einem alternativen Gedankenmuster oder Glaubenssatz umgehen. Formuliere positive Affirmationen, die auf deine Situation passen. „Ich will, kann und werde … „
- Schließlich braucht es ein Einüben und die Entwicklung der Gewohnheit. Bilde dir dafür eine kleine Routine – ob morgens oder abends, im Kopf, mit dem Tagebuch oder mit einer App. Was ist deine Wahl?
Fazit
„Ich muss gar nichts.“ stimmt natürlich nur begrenzt. Du musst eines Tages sterben, wie alle Menschen. Du musst die Feuerwehr rufen, wenn es brennt und du musst auch etwas essen. Doch wie du zum Essen kommst, das ist deine Entscheidung. Du hast sie mit deiner Berufswahl, deinem Lebensentwurf und vielen weiteren Entscheidungen bis heute getroffen.
Und dann heißt es, dazu zu stehen, das Beste daraus zu machen, das Heft des Handelns in der Hand zu halten, souverän zu bleiben oder wieder zu werden.
Mit deiner Wahl der Ausdrucksweise kannst du immer frei entscheiden, wie du mit Aufgaben, Anforderungen oder Projekten umgehst. Damit hast du ein wichtiges Instrument zum Umgang mit Stress selbst in der Hand – äh, vielmehr im Mund. Du kannst mit Sprache dein Leben aktiv gestalten. Ich wünsche dir gutes Gelingen.
Willst du deine Sprache konkreter in den Blick nehmen? Dann kann dich ein KommunikationsCoaching dabei begleiten.
Und als Eltern bist du hier richtig:

Liebe Heike,
lange habe ich nicht geglaubt, dass Sprache so wirkmächtig ist. Die Amerikaner reden ja schon lange nicht mehr von Problemen, sondern von Herausforderungen. Interessant fand ich eine kleine Episode mit einem Abteilungsleiter vor einigen Jahren. Es ging um den Stress, den ungelöste Probleme auslösen. Er meinte, dass er statt von schwierigen lieber von interessanten Problemen spricht. Tatsächlich hatte er mich direkt erwischt. „Hach, das ist ja eine interessante Fragestellung!“ motiviert mich viel eher und appelliert an meine Fähigkeit, kreative Lösungen zu finden. Also ich kann die Macht der Sprache auf jeden Fall für mich bestätigen. Und zum Thema Müssen biete ich sogar ein eigenes Seminar an „Schluss mit Muss!“ heißt es – und wird ab nächstem Jahr nicht nur in Heidelberg angeboten, sondern auch online verfügbar sein.
Wie immer: Danke für deine wertvollen Gedankenanstöße – Korina
Liebe Korina,
eine „interessante Fragestellung“ – das werde ich mir merken. Du hast ganz recht, das klingt offen und kreativ und motiviert, eine Lösung zu finden. Ich wünsche dir viele begeisterte Frauen für dein Seminar „Schluss mit Muss!“.
Herzliche Grüße, Heike