Er klang harmlos und gut gemeint. Doch „Das macht man nicht“ war mehr als ein Spruch. Es sind nicht die lauten Regeln, die uns oft begrenzen – sondern die leisen, tief verankerten. In diesem Beitrag lade ich dich ein auf meine Spurensuche zu einem Satz, der mein Leben lenkte – und dem ich heute mit einem Lächeln begegne.
Dieser Artikel ist ein Beitrag zur Blogparade von Eva Helms „Familiäre Glaubenssätze und ihre Spuren in deinem Leben“. Eva schreibt, dass diese unausgesprochenen oder oft wiederholten Überzeugungen uns durch unser Leben begleiten, manchmal als hilfreiche Weisheiten, manchmal als unsichtbare Fesseln.
„Das macht man nicht“ – in meiner Kindheit
Ich bin 1967 geboren und wuchs mit meinen Eltern, einer neun Jahre älteren Schwester und meiner Oma auf einem kleinen Dorf im bayerischen Schwaben auf. Mein Papa war Arbeiter in einem Handwerksbetrieb und wir hatten eine kleine Landwirtschaft im Nebenerwerb. Die tägliche Arbeit dort leisteten Mama und Oma, es gab immer viel zu tun. Selbstversorgung war damals kein Trend, sondern notwendig.
Meine Eltern und die Oma waren freundliche Menschen und durchaus liebevoll zugewandt, verbrachten im Rahmen ihrer Möglichkeiten Zeit mit mir oder ließen mich an dem teilhaben, was so anfiel. Ich hatte eine sogenannte „behütete“ Kindheit.
Die dörfliche Gemeinschaft mit Nachbarschaft und Verwandtschaft im Ort, Vereinen und evangelischer Kirchengemeinde gab die Massstäbe von Verhalten und Denken vor. Soziale Kontrolle funktionierte: „Man“ wollte dazugehören, nicht auffallen und nicht zum Gegenstand des dörflichen Klatsches werden.
„Das macht man nicht.“ war die Regel, die nicht hinterfragt zu werden hatte:
- Hosen anziehen an der Konfirmation der Schwester? – „Das macht man nicht! Mädchen tragen zu festlichen Anlässen Kleider oder Röcke.“
- Superkurze Hosen, Röcke, bauchfrei? – „Das macht man nicht. Das gehört sich nicht.“
- Selbst nachfragen, ob ich etwas haben darf (bei der Tante, beim Metzger …)? – „Das macht man nicht. Du wartest, bis dir etwas angeboten wird.“
Wie ich den Glaubenssatz in meiner Jugend erlebte
Als Teenager ging ich natürlich wie alle anderen auch in den Widerstand. Ich hörte laute Rock-Musik, ich rauchte heimlich, trug statt superknapp dann Schlabberklamotten, die den Eltern auch nicht zusagten. Manches erstritt ich, wie die Teilnahme auf einer Friedensdemo in den 80ern. Ich hinterfragte, wer denn dieser dämliche „man“ sei, der uns oft dazwischen funkte. Dabei war ich in vielem ganz brav und konform, ob in Vereins- und Kirchenaktivitäten oder in der Schule. Bücher eröffneten mir jedoch andere Welten.
Ich beobachtete, wie der Glaubenssatz meiner Mutter das Leben unnötig schwer machte:
- Werktags spazieren gehen oder gar in der Stadt ins Café sitzen? – „Was sagen denn die Leute? Das macht man nicht!“
- Fenster ungeputzt lassen? Garten nicht gejätet? Hof samstags nicht gefegt? – „Das macht man nicht. Wir sind fleißige Leute.“
- Sonntags den Kirchgang ausfallen lassen? – „Das macht man nicht. Einer oder eine der Familie muss mindestens gehen.“
- Um 8 Uhr noch Rollläden zu? – „Das macht man nicht. Sonst meinen die Leute, wir liegen noch im Bett.“
Und ich beobachtete, wie sich mein Vater mit dem älter werden langsam davon frei machte. Er begann, nach dem Renteneintritt werktags spazieren oder Radfahren zu gehen und sagte: „Ich habe genug gearbeitet in meinem Leben.“ Papa schlief morgens länger und sagte „Ich bin lang genug früh aufgestanden.“ Er radelte in die Stadt und gönnte sich ein Eis. Einfach so.
Er sagte irgendwann „Ach, lass doch die Leute reden.“
Wie ich mich von diesem Glaubenssatz gelöst habe
Mit 19 Jahren zog ich von zu Hause weg, begann zu arbeiten, später zu studieren. Ich erlebte andere Menschen und ihre Lebensentwürfe, ich diskutierte mit Freunden und Freundinnen über Konventionen, ich distanzierte mich in einem guten Abstand von der Herkunftsfamilie.
Ich entdeckte mit meinem Mann das Reisen und die Freiheit, das zu tun, was uns Freude bereitete und es so zu tun, wie wir uns damit wohlfühlten. Die Selbständigkeit war ein weiterer Schritt der Loslösung von alten Glaubenssätzen und ich hörte, dass „man“ damit doch die Sicherheit der Rente aufgäbe.
Für mich war immer wichtiger, Neues zu lernen, zu entdecken, zu erleben. Das entspricht wohl auch mehr meiner Persönlichkeit, als der meiner Eltern. Vor kurzem war ich mit einer Freundin auf einem Klettersteig. Vor 40 Jahren wäre in unserem Dorf keine Frau auf diese Idee gekommen, so was Verrücktes in unserem Alter zu unternehmen. „Das macht man nicht.“ Selbst meine Ü80-jährige Tante meinte im Vorfeld nur „Passt auf euch auf!“ Die Zeiten ändern sich. Zum Glück.
Die Band „Die Ärzte“ brachte 2008 das Lied „Lasse redn“ heraus. Das fand ich großartig und finde es immer noch! Ich war damals schon über 40 Jahre alt und es sprach mir so aus dem Herzen. Ein paar Zeilen daraus:
Lass die Leute reden und hör einfach nicht hin,
die meisten Leute haben ja gar nichts Böses im Sinn.
Es ist ihr eintöniges Leben, was sie quält
und der Tag wird interessanter, wenn man Märchen erzählt. …
Lass die Leute reden und lächle einfach mit,
Die meisten Leute haben ihre Bildung aus der BILD.
Und die besteht nun mal, wer wüsste das nicht,
aus: Angst, Hass, Titten und dem Wetterbericht!
Lass die Leute reden, denn wie das immer ist,
solang’ die Leute reden, machen sie nichts Schlimmeres.,
Und ein wenig Heuchelei kannst du dir durchaus leisten,
Bleib höflich und sag nichts.
Das ärgert sie am meisten.
Auch heute noch bin ich fasziniert, von den Ideen und Lebensläufen anderer Menschen, deren Vielfalt das komplette Gegenteil von dem ist, was „man“ so üblicherweise tut. Ich erlebe das beispielsweise als Gastgeberin und auch als Gast in der Warmshowers-Community. Radreisende bieten dabei anderen Radreisenden kostenfrei eine Übernachtungsmöglichkeit und eine warme Dusche, meist auch eine Mahlzeit und gute Gespräche.
So übernachteten wir schon bei einer Künstlerin in Duisburg, bei Soldaten der britischen Armee, einem Studentenpaar in Kanada und hatten ehemalige Missionare, eine Fitnesstrainerin, Tourenguides für die Anden, einen Informatiker für Windkraftanlagen und viele mehr aus der ganzen Welt zu Gast. Ein offen sein für das, wie andere Menschen leben, schließt ein „man“ nahezu aus.
Was ich über „man“ als Sprach- und Kommunikationstrainerin gelernt habe
Was „man“ tut oder unterlässt, ist in jeder Gesellschaft unterschiedlich und unterliegt einem stetigen Wandel. Ich erinnere an mein Beispiel vom Kirchgang oben. Längst ist dieser keine sonntägliche Pflicht mehr. Ein weiteres Beispiel ist das, was Mädchen anziehen „sollten“.
Es ist also durchaus in Ordnung, gesellschaftliche Normen zu überprüfen, auf ihre Sinnhaftigkeit für das eigene Leben oder auch die Erde zu hinterfragen. Beispiel: Der stets unkrautfrei gejätete Garten sorgt für erhöhte Verdunstung und weniger Insekten.
Was „man“ nicht macht, soll Kindern eine Orientierung geben. Diese ist allerdings oft schwer nachvollziehbar, denn das „man“ ist unpersönlich. Verstecken sich die Erwachsenen doch hinter diesem unbestimmten Fürwort (Indefinitpronomen). So hätte meine Mutter beispielsweise sagen können: „Ich trage auch gern Hosen. Doch ich finde, ein Kleid sieht festlicher aus. Deshalb werde ich an der Konfirmation eines tragen. Komm, wir schauen, was wir festliches für dich finden.“
Das „man“ vermittelt den Anschein von Allgemeingültigkeit und meint „jeder Mensch“. Erleben Kinder allerdings, dass sich offenbar nicht jeder Mensch an die Regel hält, sehen sie auch keinen Sinn darin und widersetzen sich. Es ist klüger, Kindern stattdessen klar zu sagen, was sie tun sollen. Die Verneinungen kommen ohnehin nicht richtig an. Klarheit hilft, um besser mit deinem Kind zu reden.
Indem Eltern oder auch pädagogische Fachkräfte sich selbst oder die tatsächlich gemeinten Personen benennen, zeigen sie sich selbst, sind sie authentisch und präsent. Das führt zu mehr Selbstbewusstsein und so sind sie ein wirksames Vorbild für die Kinder.
Ein weiterer Aspekt von „man“ ist es, dass damit das „ich“ gar nicht genannt wird. Wer handelt? Die Person, die stets „man“ sagt, macht sich klein und unwichtig.
Ein gewohnheitsmäßiger Gebrauch von „man“ hat weitreichende negative Auswirkungen auf das Leben eines Berufstätigen: Wie soll ein Kunde, ein Vorgesetzter, ein anderes Familienmitglied Ihre Arbeit würdigen, wenn Sie in Ihrem eigenen Denken und Sprechen nicht vorkommen?
Hier findest du meine Rezension zum neuen Buch „Die Kraft der Sprache im Beruf“, aus dem dieses Zitat stammt.
Übrigens: Im dritten Reich wurde eine unpersönliche Sprache, die die Individualität der Menschen mindert oder gar ausschließt, propagandistisch genutzt. Die Gleichschaltung der Menschen begann in der Sprache. Sei also achtsam.
Was ich gern an die nächste Generation weitergeben will
- Erkenne dich selbst!
- Denke selbst!
- Handle verantwortlich für dich und die Welt!
- Folge deinem Herzen!
Zwischen dem Schreiben an diesem Artikel holte ich einige Kräuter aus dem Garten für die Gemüsesuppe. Mein Mann drängelte etwas, er brauche sie jetzt zum Anbraten. Und ich sagte: „Das macht man doch nicht mit frischen Kräutern, sondern nur mit trockenen Gewürzen.“ Ich musste selbst lachen, begann von neuem und sagte: „Also ich, ich mache das so.“
Beobachte dich also selbst, sei geduldig und gnädig mit dir selbst und falls du Sprüche aus der Kindheit bei dir entdeckst: Nimm sie mit Humor!
Liebe Heike, vielen Dank für den schönen Beitrag. Ich war ein Dorfkind und bin auch mit einem großen Bund „man nehme“ „man macht das so“ und „das macht man nicht“ gestartet. Es ist schon fast in der DNA 😉 Danke für die Erinnerung an den Titel der Ärzte, der auch mir aus dem Herzen spricht. Offen sein für das Ich ( … mache das so) und das Du (Ah, so machst Du das) macht die Welt ein bisschen persönlicher und die Menschen verbundener. Und genau das möchte ich auch an zukünftige Generationen weitergeben. Viele liebe Grüße! Eva
Liebe Eva, ja „man nehme“ entstammt ja den Koch- und Backbüchern für die „moderne Frau“ der Nationalsozialismus-Ära. Diese Wortwahl prägte unsere Großeltern und Eltern und sie gaben es an uns weiter. Für manche war es ein schweres Erbe.
Ich grüße dich herzlich, Heike