Interview mit einer Kita-Leiterin zum Umgang mit Stress

Susanne Schmitt und Heike Brandl im Wald

„Susanne, wie schaffst du es, gelassen durch den Kita-Alltag zu kommen?“

Diese Frage stand als Leitthema über meinem Interview mit Kita-Leiterin Susanne Schmitt.

Durch meine Weiterbildung zum Thema Nervensystem und Stressregulation und meine Arbeit als Integrationsfachkraft in verschiedenen Kindertagesstätten habe ich mich intensiv mit dem Thema Stressregulation in der Kita intensiv befasst. Im Kita-Bereich erlebe ich häufig gestresstes Personal, was sich natürlich auch auf die Kinder und die Kommunikation mit den Eltern und Kolleginnen auswirkt.

Statt nach den Gründen für den Stress zu suchen, fragte ich nun umgekehrt, lösungsorientiert. Eine Kita, in der mir der Stresspegel niedriger erscheint, ist der Waldkindergarten in Lohr. Die Leiterin, Susanne Schmitt, strahlt für mich diese Haltung der Souveränität und Gelassenheit aus, die das möglich macht. Daher bat ich Susanne um dieses Interview.

Welche Strategien oder Routinen hast du entwickelt, um Stress im Kita-Alltag zu bewältigen?

Eine gute Vorbereitung ist mir wichtig. Das heißt, vor Teamsitzungen die Tagesordnungspunkte klar strukturieren und bei Festen, vor Terminen und in stressigen Zeiten die anfallenden Aufgaben im Team oder unter den Eltern verteilen. Mit dem Team viel im Kontakt zu sein und gemeinsam nach Lösungen zu suchen, hat sich außerdem bewährt. So können unterschiedliche Ideen und Herangehensweisen einbezogen werden.

Wie gehst du mit unerwarteten Herausforderungen oder Konfliktsituationen im Kita-Alltag um?

Ich versuche ruhig zu bleiben und die Situation aus der Sicht des/der anderen Person zu beleuchten. Was sind die Gefühle und Bedürfnisse dahinter? Wieso könnte/n die Person/en so gehandelt haben?

Gleichzeitig ist es mir wichtig, mich selbst im Blick zu behalten. Wie geht es mir damit? Was brauche ich?

Ich reflektiere gerne mit Teammitgliedern oder dem Vorstand die Problematik, um weitere Einschätzungen zu erhalten. Daraus ergibt sich ein Bild, das mir als Basis für weitere Herausforderungen dient.

Wie unterstützt du dein Team dabei, ruhig und fokussiert zu bleiben, auch in hektischen Momenten?

Ich achte auf eine gute Zusammenarbeit im Team. Dazu gehört ein offener, wertschätzender Umgang miteinander. Ebenso das Wissen, dass jede wichtig für die Gemeinschaft ist und mit ihren Fähigkeiten unsere Arbeit bereichert. Sich zu trauen, um Hilfe zu bitten (wir haben ein Codewort für Situationen, in denen wir überlastet sind und jemand anders übernehmen soll), Pausen einhalten und gut für sich selbst zu sorgen sind Grundlagen, ohne die es nicht geht.

Für mich ist es wichtig, Vorbild zu sein und mit den Kindern und den Teammitgliedern ruhig und besonnen zu sprechen, immer wieder Rückmeldung zu geben, wenn mich etwas besonders freut oder stört und offen für alle Anliegen zu sein.

Welche Rolle spielt deine persönliche Selbstfürsorge und wie integrierst du sie in deinen Alltag?

In meiner Freizeit Dinge zu tun, bei denen ich auftanken kann, ist meiner Meinung das Wichtigste. Genug Schlaf, Tanzen, Singen, Freundinnen treffen und Stress vermeiden gehören für mich dazu.

Eine große Herausforderung ist es, sich im Alltag Kindergarten-freie Zeiten zu schaffen. Innerhalb des Teams sind wir über einen Messenger miteinander verbunden, damit alle informiert sind. An freien Tagen einmal nicht erreichbar zu sein und das Handy liegenzulassen, bedarf etwas Übung und Disziplin. Und klare Regeln für alle Teammitglieder, was wichtig ist und was nicht.

Wie schaffst du es, eine Balance zwischen den administrativen Aufgaben und dem direkten Umgang mit den Kindern zu finden?

Da wir im Wald kein richtiges Büro haben, fällt es mir nicht so schwer mich nur auf die Kinder zu konzentrieren. Es kommt jedoch ab und zu vor, dass ich mit meinen Gedanken woanders bin und die gewünschte Präsenz im Umgang mit den Kindern nicht da ist. Dies bedauere ich sehr und übe mich im „Ganz-da-Sein“. Administrative Aufgaben versuche ich im Homeoffice zu erledigen, damit der Ablauf mit den Kindern nicht gestört wird.

Zu meiner Unterstützung haben wir seit September ein „shared leadership“, das heißt ich teile mir die Leitungsaufgaben mit einer Kollegin. Wir sind gerade dabei uns zu finden und ergänzen uns, wo es nötig ist. Zudem nimmt uns der Vorstand viele Aufgaben ab, die normalerweise eine Kindergartenleitung innehat.

Welche Methoden oder Techniken wendest du an, um emotionale Belastungen, die der Beruf mit sich bringt, zu bewältigen?

Im Moment gehe ich gerne zum Tanzen, zum Singen und in den Garten, um abzuschalten. Bei größeren Belastungen beleuchte ich die Themen systemisch und versuche sie auf diese Weise zu verstehen. Dann kann ich besser damit umgehen.

Wie gehst du mit den Anforderungen und Erwartungen von Eltern um, ohne dass es zu Überforderung führt?

Aufgrund des Konzeptes „Waldkindergarten“ und der Organisation als Elterninitiative, haben wir sehr engagierte Eltern, die hinter unserer Arbeit stehen. Alle Familien unterstützen uns in unserem Alltag und kommen direkt auf uns zu, wenn es Unklarheiten gibt. Die Offenheit in unserer „Waldfamilie“ ist besonders und von großer Wertschätzung gegenüber dem Anderen geprägt.

So kommt es nur sehr selten zu Konflikten. Ist dies doch einmal der Fall, werden die Themen mit der Leitung oder einzelnen Teammitgliedern besprochen und bei Bedarf der Vorstand dazugeholt. Zusammen überlegen wir, welche Möglichkeiten wir haben und versuchen dabei die Bedürfnisse aller im Blick zu behalten.

Was hat dir im Laufe deiner Karriere am meisten geholfen, ruhiger und gelassener zu werden?

Natürlich bringen die Jahre, in denen man im Beruf arbeitet, am meisten. In dieser Zeit probiert man aus, lernt stetig dazu, macht positive und negative Erfahrung, lernt viele Menschen kennen und natürlich auch sich selbst. Die Arbeit an meiner eigenen Persönlichkeit ist mir deshalb sehr wichtig geworden. Nur wenn ich mit mir selbst im Einklang bin und wertschätzend mit mir selbst umgehe, kann ich dies auch bei anderen
Menschen.

Ich habe mich viel mit der Wahrnehmung von Bedürfnissen, gewaltfreier Kommunikation und den Systemen, in denen wir leben, befasst. Diese Arbeit mit dem „großen Ganzen“ trägt mich weiterhin durch mein Leben und gibt mir Kraft.

Adventskranz im Wald
Advent im Waldkindergarten

Welche Rolle spielt Kommunikation (mit Eltern, Kindern, dem Team) für eine entspannte Atmosphäre in der Kita?

Kinder wollen begreifen, was um sie herum geschieht und wir Erwachsenen können ihnen helfen, vieles zu verstehen. Mit kindgerechten Begriffen, Beispielen aus ihrem Alltag und die Einbeziehung von Gefühlen und Bedürfnissen, schaffen wir es, die Tage im Wald für Kinder verständlich zu machen. Dafür braucht es Zeit, Geduld, passende Worte und vor allem Einfühlungsvermögen in die Wirklichkeit des Kindes.

Mit den Eltern regelmäßig in Kontakt zu sein, ist eine wichtige Basis für unsere Arbeit. Beim Bringen oder Abholen der Kinder nehmen wir uns Zeit für einen kurzen Austausch und machen Termine aus, falls es mehr zu besprechen gibt. Diese können telefonisch oder persönlich sein. Einmal im Jahr findet ein Entwicklungsgespräch mit den Eltern statt, das einen tieferen Einblick gibt und in dem beide Seiten Zeit haben für Fragen, Bedenken …

Für alle Familien schaffen wir mehrmals im Jahr eine Möglichkeit des gegenseitigen Austausches — zum Beispiel beim Martinszug, bei der Waldweihnacht, beim Ma-Pa-Tag und beim Rausschmiss der Vorschüler. Diese Zusammenkünfte schaffen Verbundenheit und ein Miteinander der gesamten Waldfamilie.

Unsere regelmäßigen Teamsitzungen, Kontakte während der Arbeit, Mitarbeitergespräche und Zusammenkünfte bei besonderen Anlässen/Problemen, tragen zu einem offenen Umgang bei. Wir versuchen anzusprechen, was uns bewegt und die anderen Teammitglieder auch an privaten Themen teilhaben zu lassen. Gegenseitige Unterstützung und das Verständnis für alle Teammitglieder werden dadurch selbstverständlich.

Teambuildingmaßnahmen, gemeinsame Fortbildungen und Ausflüge helfen uns, unsere Teamgemeinschaft aufrechtzuerhalten.

Welche Tipps würdest du jungen Erzieher:innen oder zukünftigen Kita-Leiter:innen geben, um von Anfang an gelassener im Beruf zu sein?

Wichtig finde ich, dass man sich in der Freizeit mit dem beschäftigt, was einem Kraft und Energie gibt und vom Alltag abschalten lässt. Dazu gehören Hobbys, Austausch mit Freunden und ausreichende Ruhephasen. Auch während der Arbeit, die Pausen einhalten und sich etwas gönnen, das einem guttut, trägt zu einem ausgeglichenen Tag bei.

Außerdem sollte man sich immer mit der eigenen Persönlichkeit beschäftigen und das Leben als dauerhaften Lernprozess sehen. Je stabiler man selbst ist, umso leichter fällt es einem offen zu sein für andere Menschen.

Unterstützung von außen annehmen finde ich auch sehr wichtig. Der Vorstand, das Team, die Eltern, alle gehören dazu und können uns in unserem Alltag weiterhelfen.

Die Teilung der Leitung bedarf zwar etwas Einarbeitung, gibt jedoch Halt und ein Gegenüber für einen offenen Austausch. Dies würde ich daher jeder Leitung empfehlen.


Liebe Susanne, ich danke dir ganz herzlich für deine reflektierten und praxisorientierten Antworten. Ich bin sicher, damit gibst du vielen pädagogischen Fachkräften und Leitungen hilfreiche Anregungen.

Fazit

Ich habe bemerkt, dass auch Susanne von „stressigen Zeiten“ sprach. Die lassen sich wohl in keiner Kita vermeiden. Wichtig ist, wie wir damit umgehen:

  • Im Bewusstsein, dass dies Phasen sind, die vorbeigehen.
  • Selbstfürsorge und Ausgleich gehören elementar dazu.
  • Offene, klare und wertschätzende Kommunikation sind tragende Elemente.
  • Kooperation und Reflexion helfen.
  • Fachkompetenzen wie bedürfnisorientierte Pädagogik und Systemtheorie geben Orientierung und Sicherheit.
  • Sich der eigenen Vorbildfunktion bewusst zu sein.

Falls dein Team dabei Unterstützung braucht, wie Stressregulation in der Kita geht, Hintergrundwissen zum Nervensystem braucht sowie Übungen für die Selbstregulation kennenlernen will – dann schau dir meine Informationen über die S-O-S Übungen an. Sie sind die Basis für eine Fortbildung.

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